Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich nicht, daß die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht kommt.

  • 2.

    • a)

      Bei der gem. § 47 Abs. 1 StGB notwendigen Gesamtbetrachtung von Handlungs- und Erfolgsunwert kann ein Weniger an Erfolgsunrecht (Beutewert) durch ein Mehr an Handlungsunrecht (Neigung zu einschlägigen Taten, Nichtbeachtung diverser einschlägiger Strafen, Tatbegehung in laufender Bewährungszeit kurz nach letzter Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Tat) ausgeglichen werden.

    • b)

      Ein zwingender Ausschluss der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen in Fällen der im Gesetz nicht erwähnten Fallgrupe des Diebstahls "absolut geringwertiger Sachen" trägt diesen - auch von Verfassungs wegen gebotenen - Differenzierungen nicht ausreichend Rechnung (Anschluss an BayObLG NJW 2003, 2926).

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 19.04.2005)

 

Tenor

  • I.

    Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg Fürth vom 19. April 2005 wird als unbegründet verworfen.

  • II.

    Der Revisionsführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 8. Februar 2005 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat und zwei Wochen verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die das Landgericht Nürnberg - Fürth am 19. April 2005 mit der Maßgabe verworfen hat, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt wird; die weitergehende Berufung des Angeklagten wurde ebenso wie die auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässig eingelegte (§ 341 Abs. 1 StPO) und begründete (§§ 344, 345 Abs. 2 StPO) Revision hat keinen Erfolg.

1.

Die Revision ist wirksam auf den - gesamten - Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden.

Der Angeklagte hat in seiner zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegebenen Revisionsbegründung vom 20. Juni 2005 die "Revision auf das Strafmaß" und "insbesondere darauf" beschränkt, "dass die erkannte Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde". Gleichzeitig hat er allerdings hervorgehoben, die Strafe sei "unverhältnismäßig im Hinblick auf die begangene Tat".

Letzteres steht in Widerspruch zu der Revisionsbeschränkung auf die Frage der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung, weil bei einer tatsächlich unverhältnismäßigen Strafe der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufgehoben werden müsste.

In einem solchen Fall ist die Revisionsbegründung auszulegen (vgl. BGHSt 19, 273, 275; BayObLG VRS 64, 371 f.; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 344 Rn. 6 a.E.). Ausgangspunkt für diese Auslegung muss - auch in Ansehung des Kosteninteresses des revidierenden Angeklagten - die Regelung des § 300 StPO sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht wurde (vgl. BayObLG NStZ-RR 1996, 312). § 300 StPO enthält einen allgemeinen Rechtsgedanken. Danach ist bei prozessualen Willenserklärungen die Erklärung jedenfalls bei einem unverteidigten Angeklagten so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst umfassend eintreten kann (BGHR § 344 Abs. 1 StPO Antrag 2; OLG Köln MDR 1980, 690; OLG Hamburg NJW 1970, 1467, 1468; Ruß in: KK StPO 5. Aufl. § 300 Rn. 2; Meyer-Goßner a.a.O. § 300 Rn. 3).

Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist mithin wirksam, nicht aber die weitergehende Beschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung.

2.

Die Nachprüfung des Strafausspruchs hat indes keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.

a)

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Unerlässlichkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gem. § 47 Abs. 1 StGB begründet.

aa)

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Deshalb obliegt ihm auch im Fall des § 47 Abs. 1 StGB die Entscheidung darüber, ob besondere Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters die Verhängung einer - obgleich kurzzeitigen - Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge jedoch zu überprüfen, ob dem Tatrichter bei dieser Entscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind, ob er also etwa einen einschlägigen Rechtsbegriff verkannt hat, von unvollständigen, widersprüchlichen oder unrichtigen Erwägungen ausgegangen ist oder die Grenzen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums sonst wie überschritten hat (ständige Rspr., vgl. BayObLG NJW 1992, 191).

bb)

Die tatrichterlichen Erwägungen halten sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums.

(1)

Nach § 47 Abs. 1 StGB darf auf Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur erkannt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf ihn oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Solche besond...

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