Leitsatz (amtlich)

1. Die Verjährung eines Schmerzensgeldanspruchs (hier: wegen erlittener Ansteckung mit dem HIV-Virus) wird nicht allein dadurch gehemmt, dass Gläubigerin und Schuldner des Anspruchs in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenleben.

2. Die Ausübung des ungeschützten Geschlechtsverkehrs unter Verschweigen der eigenen HIV-Infektion kann sich allerdings als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung der Partnerin darstellen und unter diesem Gesichtspunkt eine Hemmung der Verjährung des Anspruchs während des Zusammenwohnens bewirken.

 

Normenkette

BGB § 207 Abs. 1, § 208 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 06.05.2013; Aktenzeichen 6 O 2499/12 (1))

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des LG Regensburg vom 6.5.2013 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage gegen ihren früheren Lebensgefährten.

Von Juni 2003 bis Januar 2012 führten die Verfahrensbeteiligten eine nichteheliche Lebensgemeinschaft; während dieser Zeit wohnte der Antragsgegner, ohne dies auch melderechtlich umzusetzen, nahezu durchgehend bei der Antragstellerin. Aus der Beziehung entstammt eine im August 2005 geborene gemeinsame Tochter. Anlässlich einer Schwangerschafts-Routineuntersuchung wurde im Januar 2005 bei der Antragstellerin, die sich erstmals in dieser Richtung einem Test unterzog, eine HIV-Infektion diagnostiziert. Der Antragsgegner war seinerseits spätestens ab dem Jahre 2001 mit dem HIV-Virus infiziert, was er seitdem auch wusste, der Antragstellerin jedoch erst nach der Eröffnung ihres Untersuchungsergebnisses offenbarte.

Die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner vor, sie bei einem der stets ungeschützt vollzogenen Sexualkontakte - der erste fand im Juni 2003 statt - mit dem HIV-Virus angesteckt zu haben. Nach der Trennung erstattete sie Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Dezember 2012 beantragte sie Prozesskostenhilfe mit dem Ziel, vom Antragsgegner ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 100.000 EUR einzuklagen. Das lange Zuwarten mit der Rechtsverfolgung erklärt sie damit, dass es ihr bis zur Beendigung der eheähnlichen Beziehung nicht zuzumuten gewesen sei, gegen den damaligen Lebensgefährten und Vater des gemeinsamen Kindes vorzugehen; insoweit müsse eine Hemmung der Verjährung greifen.

Der Antragsgegner erhebt die Einrede der Verjährung. Zudem beruft er sich darauf, für die Infektion der Antragstellerin gar nicht verantwortlich zu sein.

Das LG hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen, weil ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch gem. §§ 195, 199 BGB verjährt sei. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II. Die gem. § 127 Abs. 2, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde, über die der Einzelrichter entscheidet (§ 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO), ist begründet.

Die allein auf den angenommenen Eintritt der Verjährung gestützte Entscheidung des LG hat in diesem Punkt keinen Bestand. Allerdings kann die (sonstige) Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach Aktenlage noch nicht abschließend beurteilt werden.

1. Eine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) kann der beabsichtigen Klage nicht mit dem Argument abgesprochen werden, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch mangels Hemmung der Verjährung nicht mehr durchsetzbar wäre.

a) Zwar ist der Auffassung des LG zuzustimmen, dass eine analoge Anwendung des § 207 Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommt.

Die Verfahrensbeteiligten führten bis Januar 2012 eine (mehr oder weniger) eheähnliche Beziehung. Vereinzelt wird vertreten, dass auch für die Dauer von nichtehelichen Lebensgemeinschaften im geeigneten Falle - bei nachweislichem Bestehen eines mit Ehe und Familie vergleichbaren Näheverhältnisses - eine Verjährungshemmung entsprechend der Regelung des § 207 Abs. 1 BGB zu bejahen sei (Grothe in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 207 Rz. 10; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 12. Aufl., § 207 Rz. 7). Hiergegen spricht allerdings, dass § 207 Abs. 1 BGB in allen seinen Alternativen an rein formale Kriterien anknüpft. Auf das Vorliegen eines konkreten Näheverhältnisses kommt es insoweit gerade nicht an. Weder lässt die eintretende Zerrüttung einer Ehe die Wirkung des § 207 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallen, noch könnten sich Mitglieder sonstiger enger und familienbezogener Gemeinschaften (etwa im Falle eines Zusammenlebens von Großeltern mit Enkeln) erfolgreich auf eine Hemmung berufen. Nicht zuletzt auch aus Gründen der Rechtssicherheit darf die eindeutig formale Ausrichtung des § 207 Abs. 1 BGB nicht unterlaufen werden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf nichteheliche Lebensgemeinschaften scheidet deshalb aus (OLG Brandenburg, Urt. v. 8.5.2007 - 11 U 142/06, BeckRS 2009, 5859, juris Rz. 22; OLG Köln, Beschl. v. 8.12.1998 - 13 U 105/98, NJW-RR 2000, 558, juris Rz. 7; Palandt/Ellenberger, BGB, 72. Aufl., § 207 Rz. 2; Staudinger/Peters/Jaco...

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