Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerer Bandendiebstahls. erneute Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO

 

Leitsatz (amtlich)

Das Oberlandesgericht ist bereits vor Ablauf der weiteren Prüfungsfrist des § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO befugt, einen Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufzuheben, wenn die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 bereits mit Vorlage der Akten nicht mehr gegeben sind.

 

Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts R vom 19.1.2010 (Gs 106/10 III) wird aufgehoben.

 

Gründe

I. Der Angeklagte C. befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts R. vom 19.1.2010 wegen des dringenden Verdachts des schweren Bandendiebstahls in 18 Fällen seit 19.1.2010 in Untersuchungshaft. Der Senat hat zuletzt mit Beschluss vom 29.7.2010 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und gemäß § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO die Haftprüfung für die nächsten drei Monate dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Mit Eingang 18.10.2010 wurden die Akten dem Oberlandesgericht zur erneuten Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

II. Obwohl Staatsanwaltschaft und Gericht den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft für erforderlich halten, ist der Haftbefehl nunmehr aufzuheben, weil die Voraussetzungen, unter denen ein weiterer Vollzug der Untersuchungshaft gemäß § 121 Abs. 1 StPO angeordnet werden kann, nicht vorliegen. Der an sich gerechtfertigte Haftbefehl kann keinen Bestand haben, da das Verfahren seit der letzten Haftprüfung durch den Senat nicht die in Haftsachen gebotene, auf dem Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK beruhende Beschleunigung erfahren hat.

1. Der Senat ist bereits vor Ablauf der mit Beschluss vom 29.7.2010 gesetzten weiteren Prüfungsfrist von 3 Monaten gemäß § 121 Abs. 1 StPO befugt, den Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufzuheben. Es kann offenbleiben, ob und innerhalb welchen Zeitfensters das OLG eine haftaufhebende Entscheidung vor Ablauf der 6-Monatsfrist treffen darf (vgl. für den uneinheitlichen Meinungsstand LR-Hilger, § 122 Rdn. 29, 30). Jedenfalls für die Zeit erneuter Prüfungen hat das Oberlandesgericht mit Vorlage der Akten unverzüglich den Haftbefehl aufzuheben, wenn die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO nicht mehr gegeben sind. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 4 Satz 1 StPO, der bestimmt, dass allein dem Oberlandesgericht auch nach Rückübertragung gemäß § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO die Haftverlängerungskompetenz vorbehalten ist. Ergänzend legt § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO für diese Prüfung eine Höchstfrist fest, denn die Prüfung nach § 121 Abs. 1 StPO muss "spätestens" nach drei Monaten wiederholt werden. Die Festlegung des Höchstprüfungszeitraums im Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts hat das Ziel, eine kontinuierliche, aber auch schematisierte Haftkontrolle zu gewährleisten. Es soll sichergestellt werden, dass die Akten bis zum festgelegten Termin zur Prüfung vorgelegt werden. Eine zeitliche Einschränkung der Haftkontrolle mit der Folge unzulässiger vorfristiger Entscheidung kann aus der Vorschrift nicht entnommen werden (vgl. auch OLG Düsseldorf, StV 1991, 222; SK-StPO/Paeffgen, § 122 Rdn. 13 a.E). Andernfalls würde das Oberlandesgericht durch eine Rückübertragung nach § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO sich selbst seiner Entscheidungskompetenz gemäß § 121 Abs. 1 begeben, die das Haftgericht wegen § 121 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht hat. Dies hätte die gesetzwidrige Folge, dass überhaupt kein Gericht mehr für die Haftkontrolle zuständig wäre, weil das eine Gericht noch nicht und das andere nicht bzw. nicht mehr zuständig wäre.

2. Mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot ist es vorliegend unvereinbar, dass die 1. Strafkammer des Landgerichts R. den Hauptverhandlungstermin in dieser Sache erst für den 25.1.2011 und damit knapp acht Monate nach Erhebung der Anklage vom 28.5.2010 und mehr als ein Jahr nach dem Beginn des Vollzugs der Untersuchungshaft anberaumt hat.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der (Anordnung und) Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig Verurteilten als Korrektiv entgegen gehalten werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt insoweit, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (vgl. BV...

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