Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrte Welt oder Missbrauch der elterlichen Sorge - Weigerung der Eltern ein schuldpflichtiges Kind zur Schule zu schicken

 

Normenkette

BGB § 1666

 

Verfahrensgang

AG Neustadt a.d. Aisch (Beschluss vom 30.03.2015)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten C. B., die Anschlussbeschwerde des Beteiligten W. S. und die Beschwerde des Kreisjugendamtes N. a. d.A.-B. W. gegen den Endbeschluss des AG - Familiengericht - Neustadt a.d. Aisch vom 30.03.2015 werden zurückgewiesen.

2. Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten C. B., W. S. und das Kreisjugendamt N. a. d.A.-B. W. jeweils 1/3 zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit Endbeschluss des AG - Familiengericht - Neustadt a. d. Aisch vom 30.03.2015 wurde der für den Sohn W. B., geb. 13.04.2006, allein sorgeberechtigten Beteiligten C. dia B. das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und das Recht zur Aufenthaltsbestimmung - soweit es die Durchführung des Schulbesuches betrifft - und das Recht Hilfen zur Erziehung zu beantragen, entzogen. Es wurde Ergänzungspflegschaft angeordnet. Die entzogenen Rechte wurden auf das Kreisjugendamt N. a. d.A.-B. W. als Ergänzungspfleger übertragen. Der Ergänzungspfleger wurde ermächtigt, die Herausgabe des Kindes zum Schulbesuch notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchung der Wohnungen der Eltern sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers oder der Polizei zu erzwingen. Den Eltern wurde aufgegeben, dafür zu sorgen, dass das Kind der Schulpflicht nachkommt und mit dem Ergänzungspfleger nach dessen Maßgaben zusammen zu arbeiten.

Gegen diesen Beschluss, der an die Kindsmutter und an das Landratsamt N. a. d.A.-B. W. am 01.04.2015 zugestellt worden ist, haben die Kindsmutter C. B. mit Anwaltsschriftsatz vom 21.04.2015, beim AG Neustadt a. d. Aisch eingegangen am 21.04.2015, und das Kreisjugendamt N. a. d.A.-B. W. mit Schreiben vom 28.04.2015, eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt. Der Beteiligte W. S. hat mit Schreiben vom 07.06.2015, beim Oberlandesgericht Nürnberg am 08.06.2015, Anschlussbeschwerde erhoben.

Mit der Beschwerdebegründung rügt die Beteiligte C. B. die Verletzung von Grundrechten, insbesondere des Elternrechts zur Pflege und Erziehung des Kindes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Gg), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 GG) sowohl hinsichtlich der Eltern als auch des Kindes. Das Grundgesetz sehe anders als Art. 145 Satz 1 WRV keine Schulpflicht vor. Art. 7 Abs. 1 GG sei nicht das Recht des Staates zu entnehmen, seine Bürger zu verpflichten, das staatliche Schulwesen in Anspruch zu nehmen. Der in Art. 7 Abs. 1 GG hineingelesene Erziehungsauftrag des Staates schränke die als verletzt gerügten Grundrechte nicht wirksam ein. Diskutiert werden könne allenfalls, ob die Eltern die zwangsweise Verbringung des Kindes in eine Schule dulden müssen. Ein solcher Schulzwang, wie er im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) geregelt sei, sei aber keine familiengerichtliche, sondern eine verwaltungsrechtliche Maßnahme. Die Voraussetzungen der Entziehung der elterlichen Sorge in Teilbereichen nach § 1666 BGB seien nicht erfüllt. Soziale Kompetenzen, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung könnten genauso effektiv ohne Schulbesuch eingeübt werden. Die Sozialentwicklung des Sohnes W. B. verlaufe bei ausbleibenden Schulbesuch nicht weniger effizient wie beim Durchschnitt gleichaltriger Kinder, die die Schule regelmäßig besuchen (Beweis: Sachverständigengutachten).

Nach dem Gutachten des Facharztes des für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. med. R. A. vom 23.10.2013 präsentierte sich der Sohn W. insgesamt altersgemäß entwickelt, unauffällig und beschwerdefrei. Danach seien beide Eltern geeignet, die Erziehungsaufgaben für den Betroffenen wahrzunehmen. Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, seien gesichert. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Sohnes liege im oberen durchschnittlichen Bereich. Auch auf sozialem und emotionalem Gebiet habe der Sohn keine Entwicklungsdefizite. Die Eltern, die ihn im Wechselmodell betreuen, würden ihm Kontakte zu gleichaltrigen Kindern ermöglichen. Er erhalte Klavier- und Schlagzeugunterricht und gehe in einen Chor. Der Vater E. S. fahre mit ihm jede Woche in die Bücherei, damit er neue Bücher erhalte. Ab September gehe er zum Leichtathletiktraining des Sportvereins O.. Außerdem erhalte er eine Ausbildung zum Jugendhelfer beim THW O.. Die Auffassung des AG Neustadt a. d. Aisch treffe nicht zu, dass dem Sohn durch homeschooling Entwicklungs- und Lernchancen genommen würden. Auch die beruflichen Chancen des Sohnes seien nicht eingeschränkt. Er könne später noch in die Schule einsteigen oder einen externen Abschluss erlangen.

Der Beteiligte W. S., Vater...

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