Leitsatz (amtlich)

Schließen eine Gemeinde und ein Investor einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zur Ablösung der Erschließungskosten und erweist sich dieser Ablösungsvertrag nachfolgend aus Gründen, die dem Bereich der Gemeinde zuzuordnen sind, als nichtig, kann die Gemeinde aus einem Verschulden bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) haften und ist danach zumindest zur Rückzahlung der bereits an sie geleisteten Ablösesumme verpflichtet.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 14.04.2005; Aktenzeichen 10 O 3052/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Magdeburg vom 14.4.2005, Geschäftszeichen: 10 O 3052/04, abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 430.273,77 EUR nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5.1.2005 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 515.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug beträgt 430.273,77 EUR.

Unter Abänderung der Streitwertentscheidung im angefochtenen Urteil wird der Streitwert erster Instanz ebenfalls auf 430.273,77 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf die angefochtene Entscheidung verwiesen. Berichtigend und ergänzend ist folgendes anzumerken:

Der Erschließungs- und Ablösungsvertrag vom 8.6.1993 wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Gemeinde L., und der S. Handels-AG (im Folgenden S.) geschlossen [Bl. 9-13 d.A.]. Die Gemeinde verpflichtete sich zur Entwicklung eines Gewerbe- und Industriegebietes über einen Erschließungsträger. S. erklärte sich bereit, für die durchzuführenden Erschließungsmaßnahmen 3.250.000 DM als Ablösungsbetrag zu zahlen. Zu den Erschließungsanlagen zählte auch die Ableitung von Regen- und Schmutzwasser.

Zur Ableitung und Behandlung des Abwassers war am 27.5.1992 auch unter Beteiligung der Gemeinde L. der Abwasser-Zweckverband Sl. gegründet worden [Bl. 33/34 d.A.]. Dieser verabschiedete am 1.6.1993 eine Abwasserbeseitigungssatzung [Bl. 36-38 d.A.], wonach sich die Gemeinden zur Ableitung des Schmutz- und Niederschlagswassers des Zweckverbandes bedienen.

S. schloss mit der Klägerin am 24.9.1993 einen Vertrag zum Übergang der Rechte und Pflichten aus dem Erschließungs- und Ablösevertrag im Innenverhältnis auf die Klägerin mit Wirkung vom 1.8.1993 [Bl. 133-135 d.A.]. Seither wirkt der Vertrag vom 8.6.1993 auch zugunsten der Klägerin [Bl. 3, 73 d.A.]. Mit Vertrag vom 5.10.1993 wurde die im Gewerbegebiet L. gelegene Liegenschaft von S. an die Klägerin veräußert [Bl. 139-149 d.A.]. Die Klägerin wiederum vermietete das auf dem Grundstück errichtete, nunmehr erschlossene Objekt im Jahre 1994 an S. [Bl. 15-27 d.A.]. Die letzte Rate auf die Ablösungsvereinbarung wurde im Jahre 1996 gezahlt [Bl. 73 d.A.].

Gegen den Vorausleistungsbescheid des Abwasserverbandes Sl. vom 14.9.1998 legte die Klägerin Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 8.2.2002 abschlägig beschieden wurde. Die Festsetzung des endgültigen Beitrages für die erstmalige Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasseranlage erfolge in diesem Widerspruchsbescheid [Bl. 4 d.A.]. Das gegen den Widerspruchsbescheid geführte Klageverfahren vor dem VG Magdeburg war für die Klägerin mit Kosten i.H.v. 12.467,85 EUR verbunden [Bl. 8, 44/45, 46 d.A.].

Die Klägerin hat vorgetragen, mit dem Erschließungs- und Ablösungsvertrag habe die gesamte zukünftige Erschließungsbeitragsschuld getilgt werden sollen [Bl. 3, 4, 52, 53 d.A.]. Da dieser Vertrag insgesamt nichtig sei, habe sie zumindest (tatsächlich sei die gesamte Ablösesumme von 1.661.698,61 EUR zu erstatten) in Höhe des gezahlten Abwasserbeitrages einen Rückzahlungsanspruch [Bl. 5 d.A.], der sich neben § 839 BGB auch aus einem Verschulden bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) ergebe [Bl. 7, 6, 71 d.A.].

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges angezweifelt [Bl. 72, 85 d.A.] und behauptet, es seien insgesamt nur 1.629.066,18 EUR gezahlt worden [Bl. 73 d.A.] und zwar als Werklohn [Bl. 75, 76 d.A.] auf einen Pauschalpreisvertrag mit dem, zumindest aber teilweise an den Erschließungsträger G. [Bl. 86 d.A.]. Damit seien die Beiträge zur inneren Erschließung abgegolten gewesen [Bl. 73 d.A.]. Die Inanspruchnahme der Klägerin durch den Abwasserzweckverband gehe auf die erstmalige Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasseranlage zurück [Bl. 73, 74, 75 d.A.].

Die 10. Zivilkammer des LG Magdeburg hat durch Urteil vom 14.4.2005 [Bl. 99-103 d.A.] den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten teilweise, soweit Ansprüche wegen vertraglicher oder vorvertraglicher Pflichtverletzungen oder ungerechtfertigter Bereicheru...

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