Leitsatz (amtlich)

Wird ein Patient von einer Pflegekraft begleitet, wird von einem voll beherrschbaren Risiko ausgegangen, wenn der Patient stürzt, anders als wenn er sich selbst frei bewegt.

Kann eine Liege seitlich wegrutschen, wenn sich der Patient beim Aufstehen mit einer Hand auf sie aufstützt, ist sie entweder nicht richtig arretiert oder nicht sicher gestellt, was eine Haftung begründet.

Steht der Patient entgegen einer Anweisung der Pflegekraft alleine auf, begründet dies ein Mitverschulden (hier von 50 %).

 

Verfahrensgang

LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 24.02.2012; Aktenzeichen 4 O 456/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.2.2012 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau (4 O 456/11) abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.157,17 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.8.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 50 % der künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, welche aus dem Unfallgeschehen vom 24.3.2010 bei der Beklagten resultieren, bei der Frau H. L. (geb. 2.9.1936) verletzt wurde, soweit Ansprüche gem. § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangen sind.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das am 24.2.2012 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau (4 O 456/11) wird zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Parteien zu je ½; die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 10.000,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht einen Schadensersatzanspruch der Zeugin H. L. geltend. Diese wurde bei der Beklagten an der rechten Hand wegen eines Karpaltunnelsyndroms ambulant operiert. Im Aufwachraum ist sie bei dem Versuch aufzustehen, gestürzt und hat sich dabei eine pertrochantäre Femurfraktur rechts zugezogen. Anwesend war in diesem Augenblick die Zeugin K. S. (Auszubildende zur medizinischen Fachangestellten). Was dem Sturz unmittelbar voraus ging ist streitig, unstreitig ist, dass eine (von insgesamt 3) Arretierungsbremse an der Liege, auf der die Zeugin L. gelegen hatte, nicht angezogen war.

Das LG ist nach Beweisaufnahme (Vernehmung der Zeuginnen L. und S.) von einer Haftungsquote der Beklagten von 50 % ausgegangen, weil ein entsprechend hohes Mitverschulden der Zeugin L. gegeben sei. Den geltend gemachten bezifferten Schaden hat das LG mit dieser Quote zugesprochen. Den weiter gestellten Feststellungsantrag hat das LG mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Vortrag zu möglichen Folgeschäden unsubstantiiert sei. Ein entsprechender Hinweis an die Klägerin erging nicht.

Die Berufung der Klägerin nimmt die Haftungsquote von 50 % hin und wendet sich nur gegen die Abweisung des Feststellungsantrages (den sie unter Berücksichtigung einer Quote von 50 % weiterverfolgt). Die Klägerin trägt vor, dass sie bereits in der Klageschrift darauf hingewiesen habe, dass bei einer perchantären Fraktur, also einer Fraktur nahe des Hüftgelenkkopfs, immer die Gefahr einer Hüftnekrose mit konsekutiver Koxarthroseentstehung bestehe. Bei Eintritt dieser nicht unwahrscheinlichen Folge müsse die Zeugin L. mit einer Hüftgelenksendoprothese versorgt werden, was weitere Kosten z.B. für Rehabilitationsmaßnahmen nach sich ziehen könne.

Die Anschlussberufung der Beklagten will die vollständige Klageabweisung erreichen. Es liege kein Fall eines sog. voll beherrschbaren Risikos vor. Zwar sei unstreitig, dass eine der drei Arretierungsbremsen an der Liege nicht angezogen gewesen sei. Das LG habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob dies ursächlich für den Sturz gewesen sei. Die Beklagten berufen sich (unter Protest gegen die Beweislast) gegenbeweislich auf ein Sachverständigengutachten zum Beweis dessen, dass bei dem Körpergewicht der Zeugin Leipold von ca. 100 kg, die Liege auch dann weggerutscht wäre, wenn alle 3 Bremsen arretiert gewesen wären.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gem. § 540 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Klägerin und die (unselbständige) Anschlussberufung der Beklagten sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache ist die Anschlussberufung der Beklagten, die sich gegen eine Haftung dem Grunde nach richtet, unbegründet (1). Die Berufung der Klägerin mit der sie aus übergegangenem Recht ihren Feststellungsantrag hinsichtlich möglicher künftiger Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 % weiterverfolgt, hat demgegenüber Erfolg (2):

(1) Anschlussberufung der Beklagten:

Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet, weil das LG im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen ist, dass eine Haftung dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Geschädigten L. von 50 % gegeben ist. Die Pflichtverletzung besteht zwar - entgegen der Ansicht des LG - nicht darin, dass die Zeugin S. die Zeugin L. - k...

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