Leitsatz (amtlich)

1. Eine Taxigenossenschaft, die eine zentrale Funkvermittlung für Beförderungsaufträge betreibt und damit in einer Stadt bzw. in einer Region marktbeherrschend ist, ist kartellrechtlich grundsätzlich auch zur Auftragsvermittlung an Nichtmitglieder verpflichtet, wenn diese die Vermittlung in Anspruch nehmen wollen und bereit sind, die Nutzungsbedingungen zu akzeptieren. Allein die genossenschaftliche Zweckbestimmung kann die Anwendung der kartellrechtlichen Bestimmungen nicht ausschließen.

2. Ob Behinderungen anderer Taxi-Unternehmen im Wettbewerb durch die Verweigerung der Vermittlung von Beförderungsaufträgen an sie als unbillig i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB zu beurteilen sind, ist im konkreten Einzelfall durch Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Kartellrechts sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 19.01.2006; Aktenzeichen 7 O 2898/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 19.1.2006 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des LG Magdeburg, 7 O 2898/05, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den vier Taxis der Verfügungsklägerin mit den Ordnungsnummern 258, 259, 260 und 261 sofort über Funk nach Maßgabe ihrer "Betriebs- und Funkordnung" und der Verordnung der Stadt H. über Beförderungsentgelte und Beförderungsbedingungen für Taxis Beförderungsaufträge zu vermitteln.

Für den Fall, dass die Verfügungsbeklagte dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wird ihr ein Zwangsgeld bis zur Höhe von 250.000 EUR, hilfsweise Zwangshaft, zu vollstrecken am Vorstandsvorsitzenden der Verfügungsbeklagten, angedroht.

Der Verfügungsklägerin wird aufgegeben, binnen eines Monats ab Zustellung dieser Entscheidung Klage in der Hauptsache zu erheben.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig; insb. wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte nach §§ 33 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 20 Abs. 1 und 2 GWB einen Anspruch auf die vorläufige Einbeziehung ihrer vier Taxis in die Funkvermittlung von Beförderungsaufträgen bis zur endgültigen Klärung der Streitfragen über die Art und Weise des Zustandekommens einer Mitgliedschaft der Verfügungsklägerin in der Genossenschaft.

1.1. Die Verfügungsbeklagte ist das marktbeherrschende Unternehmen auf dem regionalen Markt für die Übermittlung von Beförderungsaufträgen für Taxis durch Telefon und Funk in der Stadt H. Der von ihr betriebenen Vermittlungszentrale sind die überwiegende Zahl der von der Stadt H. zugelassenen Taxis angeschlossen. Neben der "Taxizentrale" der Verfügungsbeklagten unter einprägsamen und seit mehr als zehn Jahren eingeführten Telefonrufnummern mit mehr als 200 angeschlossenen Taxis existiert nur ein Unternehmen in der Stadt, welches an sechzehn Taxis Funkaufträge vermittelt.

1.2. Die Verfügungsbeklagte verweigert der Verfügungsklägerin seit dem 7.11.2005, ca. 16:00 Uhr, die Inanspruchnahme ihrer Vermittlungszentrale, obwohl die Verfügungsklägerin die Nutzungsbedingungen anerkennt und bereit ist, die vorgesehenen Nutzungsentgelte bzw. Provisionen an die Verfügungsbeklagte zu zahlen. Hierin liegt eine Wettbewerbsbehinderung, weil die Verfügungsklägerin auf dem nachgelagerten Markt der Beförderungsdienstleistungen durch Taxis ohne Funkvermittlung durch die Verfügungsbeklagte nur noch vereinzelt Beförderungsaufträge akquirieren und den überwiegenden Teil des bisher erwirtschafteten Umsatzes nicht mehr realisieren kann. Ihre Geschäftstätigkeit als Taxiunternehmen in H. ist stark beeinträchtigt.

1.3. Die Verweigerung der Inanspruchnahme ihrer Vermittlungszentrale stellt sich als unbillige Behinderung der Geschäftstätigkeit der Verfügungsklägerin i.S.v. § 20 Abs. 1 und 2 GWB dar, weil ein sachlich gerechtfertigter Grund hierfür fehlt.

Ob Behinderungen anderer Unternehmen im Wettbewerb als unbillig zu beurteilen sind, ist im konkreten Einzelfall durch Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Kartellrechts sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.

Danach ist hier das Interesse der Verfügungsbeklagten an der Vermeidung einer einstweiligen Einbeziehung der Verfügungsklägerin in die Vermittlung von Beförderungsaufträgen als gering zu bewerten.

Zwar ist ein Interesse der Verfügungsbeklagten daran anzuerkennen, dass sich ihr Geschäftsbetrieb, insb. der Betrieb einer Vermittlungszentrale für Beförderungsaufträge, originär der Befriedigung der Bedürfnisse der Genossenschaftsmitglieder dienen soll. Behe...

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