Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG ist für alle am 5.8.2009 noch nicht abgeschlossenen Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 104 ff. ZPO anzuwenden.

2. Nach § 15a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter, z.B. ein Kostenschuldner im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens, grundsätzlich nicht zu seinen Gunsten auf die Anrechnungsbestimmung u.a. der Vorbemerkung 3 Abs. 4 in Teil 3 der Anlage 1 - VV - zum RVG berufen.

3. Der Nachweis der Erfüllung des Anspruchs auf Erstattung der vollen Geschäftsgebühr i.S.d. Voraussetzung des § 15a Abs. 2 Alt. 1 RVG für die Anrechnung des hälftigen Betrages der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV zugunsten des Kostenschuldners kann nicht unter Verweis auf einen zwischen den Parteien des Rechtsstreits geschlossenen gerichtlichen Vergleich geführt werden, wenn sich aus dessen Wortlaut nicht ohne weiteres ergibt, dass und in welcher Höhe die Zahlung des Gesamtabgeltungsbetrages auf die Geschäftsgebühr geleistet wird.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Beschluss vom 23.10.2009; Aktenzeichen 9 O 1002/07)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Magdeburg vom 23.10.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

 

Gründe

I. Der Kläger hat gegen die Beklagten Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall in Form von Schmerzensgeld sowie Ersatz materieller Schäden (Verdienstausfall, Zuzahlungen für medizinische und physiotherapeutische Behandlungen und Medikamente, Fahrtkosten, Aufwendungen für Atteste) geltend gemacht, nicht jedoch vorgerichtliche Anwaltskosten. Zur Beendigung des Rechtsstreits haben die Parteien am 28.7.2009 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, der eine Zahlung der Beklagten an den Kläger vorsieht und sodann eine Abgeltungsklausel hinsichtlich "sämtliche(r) materiellen und immateriellen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom ..., egal ob bekannt oder derzeit noch nicht bekannt,..." enthält. Die Beklagten haben den im Vergleich vereinbarten Abgeltungsbetrag inzwischen an den Kläger gezahlt.

Mit seinem Beschl. v. 23.10.2009 hat das LG Magdeburg - Rechtspflegerin - die von den Beklagten zu 1) und zu 2) an den Kläger zu erstattenden Kosten festgesetzt. Dabei hat es die Verfahrensgebühr in voller Höhe, d.h. ohne Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr, in Ansatz gebracht.

Gegen diesen, ihr am 11.11.2009 zugestellten Beschluss wenden sich die Beklagten zu 1) und zu 2) mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 12.11.2009. Sie meinen, dass durch den am 28.7.2009 geschlossenen gerichtlichen Vergleich sämtliche Ansprüche des Klägers einschließlich der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten erledigt seien. Nach § 15a Abs. 2 Alt. 1 RVG sei die Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten des Klägers um 50 % der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV zu reduzieren.

Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.

Der Kläger hat zur sofortigen Beschwerde Stellung genommen.

II. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde nach §§ 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO zulässig, es ist insb. form- und fristgerecht eingelegt worden und die erforderliche Mindestbeschwer ist überschritten. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Rechtspflegerin des LG Magdeburg ist in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 17.12.2009 im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahren die Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG anzuwenden ist.

Allerdings mag es zweifelhaft sein, ob sich die Anwendbarkeit des § 15a Abs. 2 RVG auf Angelegenheiten, mit denen ein Rechtsanwalt vor Inkrafttreten des am 4.8.2009 verkündeten Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht ... vom 30.7.2009 (BGBl. I, 2449) beauftragt worden ist (sog. Altfälle), daraus ableiten lässt, dass § 15a RVG eine bloße Klarstellung der ohnehin bestehenden Gesetzeslage darstellt (so zuletzt XII. Zivilsenat des BGH, Beschl. v. 9.12.2009 - XII ZB 175/07 mit umfangreichen Nachweisen zum Streitstand). Im Gesetzgebungsverfahren ist die neue Vorschrift jedenfalls als eine "wesentliche Änderung im anwaltlichen Vergütungsrecht" qualifiziert worden (vgl. BT-Drucks. 16/12717 v. 22.4.2009, S. 2). Eine Änderung der Gesetzeslage läge im Übrigen auch schon dann vor, wenn zwar die nunmehr hergestellte Gesetzeslage bereits mit der ursprünglichen Fassung der Anrechnungsvorschriften des RVG angestrebt gewesen wäre, darin jedoch keinen genügenden Ausdruck gefunden hatte, und die Rechtsprechung - insb. auch diejenige des BGH - dem Gesetzgeber die Notwendigkeit einer "Klarstellung" seiner Regelungsabsichten bzw. ihrer eindeutigen Umsetzung vor Augen geführt hätte (vgl. auch X. Zivilsenat des BGH, Beschl. v. 29.9.2009 - X ZB 1/09 - u.a. NJW 2010, 76 - zitiert nach juris, dort Rz. 23; 10. Zivilse...

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