Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Ermittlung des hypothetischen Willens einer Erblasserin, die neben ihrem leiblichen Sohn auch dessen aufgeführte Ehefrau testamentarisch als Erbin eingesetzt hat, kommt der Frage, ob § 2077 BGB als gesetzliche Auslegungsregel auf die Erbeinsetzung von Schwiegerkindern analog anzuwenden ist, entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

2. Der vorlegende Senat erachtet die gesetzliche Auslegungsregel des § 2077 BGB in diesen Fällen für nicht anwendbar (Abweichung von OLG Saarbrücken FamRZ 1994, 1205 f.).

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Aktenzeichen 2 T 123/01)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Halle vom 15.10.2001 wird dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

 

Gründe

I. Der Beteiligte zu 2) begehrt die Einziehung eines Erbscheines, in dem die Beteiligte zu 1) als Miterbin der Erblasserin zu ein Halb ausgewiesen ist.

Der Beteiligte zu 2) ist das einzige Kind der Erblasserin. Am 24.9.1976 errichtete die Erblasserin vor dem Staatlichen Notariat in Halle ein Testament. Zu diesem Zeitpunkt waren die Beteiligten miteinander verheiratet. In dem Testament heißt es wörtlich:

„Zu meinen Erben berufe ich hiermit meinen Sohn W.E., geboren am 13.1.1946, wohnhaft in N., sowie dessen Ehefrau S.E., geborene B., geboren am 1.10.1952, wohnhaft ebenda, zu gleichen Anteilen.”

Anlass der letztwilligen Verfügung war die bevorstehende Ausreise der Erblasserin nach Westdeutschland.

Die Erblasserin kehrte Anfang der neunziger Jahre zurück und lebte im Haushalt der Beteiligten. Die Beteiligten trennten sich 1996 und lebten seitdem getrennt. Die Erblasserin verblieb bei ihrem Sohn, dem Beteiligten zu 2). Die Ehe der Beteiligten wurde am 7.3.2000 rechtskräftig geschieden. Die Erblasserin verstarb am 14.10.2000.

Das AG Halle-Saalkreis erteilte auf Antrag der Beteiligten zu 1) vom 27.12.2000 mit Beschluss vom 9.3.2001 einen Erbschein, nach dem die Erblasserin je zu ein Halb von den Beteiligten zu 1) und zu 2) beerbt worden sei. In diesem Verfahren erhielt der Beteiligte zu 2) Gelegenheit zur Stellungnahme, von der er keinen Gebrauch machte.

Der Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsatz vom 22.3.2001 die Einziehung des Erbscheines beantragt. Er begründete dies damit, dass zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin die Ehe zwischen ihm und der Beteiligten zu 1) bereits geschieden gewesen sei. Außerdem beantragte er einen Erbschein, der ihn als Alleinerbe ausweise.

Das AG hat das Schreiben des Beteiligten zu 2) als Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheines aufgefasst und dieser Beschwerde nicht abgeholfen. Die zuständige Nachlassrichterin begründete dies damit, dass die Einwendungen des Beteiligten zu 2) bereits vor Erteilung des Erbscheines hätten vorgebracht werden können; sie könnten deshalb nicht zum Erfolg der Beschwerde führen.

Im Beschwerdeverfahren vor dem LG hat der Beteiligte zu 2) die Rechtsauffassung vertreten, dass auf das Testament die Vorschrift des § 2077 BGB analog anzuwenden sei. Die Beteiligte zu 1) vertrat dagegen die Auffassung, dass eine analoge Anwendung dieser Vorschrift deshalb nicht in Betracht komme, weil sie von der Erblasserin nicht nur in ihrer Funktion als Ehefrau als Erbin eingesetzt worden sei. Dies ergebe sich daraus, dass sie neben dem Beteiligten zu 2) als Vollerbin eingesetzt und im Testament namentlich erwähnt sei. Außerdem habe die Erblasserin nach dem Auszug der Beteiligten zu 1) und auch nach der Scheidung das Testament nicht widerrufen. Hierzu sei sie auch gesundheitlich in der Lage gewesen.

Das LG hat mit Beschluss vom 15.10.2001 das AG angewiesen, den bereits erteilten Erbschein einzuziehen. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass in analoger Anwendung des § 2077 Abs. 1 BGB der Wille der Erblasserin dahingehend zu ermitteln sei, dass für den Fall der Scheidung die Beteiligte zu 1) nicht zur Erbin berufen sei. Eine Anweisung an das AG, den vom Beteiligten zu 2) beantragten Erbschein zu erteilen, käme dagegen nicht in Betracht, da der vorliegende Erbscheinsantrag nicht den Formerfordernissen des § 2356 Abs. 1 BGB entspräche.

Die Antragstellerin hat gegen diesen Beschluss am 11.1.2002 weitere Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine analoge Anwendung des § 2077 Abs. 1 BGB nicht in Betracht käme. Die Erblasserin habe noch zu Lebzeiten davon Kenntnis gehabt, dass die Ehe gescheitert sei. Sie habe dennoch ihr Testament nicht geändert. Auch der Wortlaut des Testaments, der den vollen Namen der Beteiligten zu 1) enthalte, zeige, dass sie als Person und nicht in ihrer Funktion als Ehefrau zur Erbin eingesetzt worden sei. Der Zusatz „Ehefrau” im Testament diene lediglich der Identifizierung.

Der Beteiligte zu 2) wiederholt seine Auffassung, dass die Erblasserin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes gar nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihr Testament zu ändern.

II. Der Senat hält die sofortige weitere Beschwerde für begründet. Er sieht sich jedoch an einer e...

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