Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Fahren ohne Fahrerlaubnis bei Erwerb ausländischer Fahrerlaubnis während Sperrfrist zur Wiedererteilung und Fahrzeugführung nach Fristablauf

 

Leitsatz (amtlich)

›Der Inhaber einer in einem anderen Mitgliedstaat der EU erworbenen Fahrerlaubnis, gegen den im Inland eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis verhängt worden war und der erst nach Ablauf dieser Sperrfrist im Inland fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge führt, macht sich auch dann nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar, wenn die EU-Fahrerlaubnis noch während der Sperrfrist erteilt worden war. Unerheblich ist dabei, ob die Fahrerlaubnis in dem anderen Mitgliedstaat der EU nur deshalb erworben wurde, um die inländischen Vorschriften über die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach deren Entzug zu umgehen.‹

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Gründe

I.

1. Das Amtsgericht Viechtach hat den Angeklagten mit Urteil vom 22.6.2005 vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis aus Rechtsgründen freigesprochen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Angeklagte am 1.3.2005 gegen 10.45 Uhr mit seinem Pkw VW Jetta, amtliches Kennzeichen

XXX, auf der Kreisstraße REG 20 von P nach V. Die Fahrerlaubnis war dem Angeklagten mit Urteil des Amtsgerichts Viechtach vom 21.4.2004, rechtskräftig seit diesem Tage, entzogen worden. Zugleich war eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis bis 15.12.2004 verhängt worden. Am 2.11.2004 erwarb der Angeklagte in der Tschechischen Republik eine neue Fahrerlaubnis. Er vertraute bei der Fahrt am 1.3.2005 auf die Gültigkeit dieser Fahrerlaubnis in Deutschland nach Ablauf der Sperrfrist.

2. Das Amtsgericht hat den Freispruch im Wesentlichen damit begründet, der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt Inhaber einer gültigen tschechischen Fahrerlaubnis gewesen und damit gemäß § 28 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) berechtigt gewesen, auch im Inland Kraftfahrzeuge zu führen. Dieser Berechtigung stehe § 28 Abs. 4 und Abs. 5 FeV nicht entgegen, weil eine auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gestützte EU-richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschriften ergebe, dass die tschechische Fahrerlaubnis nach Ablauf der im Inland verhängten Sperrfrist ohne vorherige Durchführung eines Anerkennungsverfahrens ipso iure im Inland gültig sei. Nach der Entscheidung des EuGH vom 29.4.2004 (NJW 2004, 1725 = NZV 2004, 372 - Urteil Kapper) könne ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis nicht deshalb ablehnen, weil im Hoheitsgebiet des Anerkennungsstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet worden war, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist bereits abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist. Daraus lasse sich im Hinblick auf die weiteren Gründe der Entscheidung des EuGH und im Hinblick auf die der Richtlinie 91/439/EWG zugrunde liegenden Erwägungen kein Umkehrschluss dahingehend ziehen, dass in einem Fall wie dem vorliegendem, in welchem die EU-Fahrerlaubnis während der im Inland angeordneten Sperrfrist erteilt wurde, diese EU-Erlaubnis unter Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der genannten Richtlinie im Inland nicht anerkannt werden muss. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH berechtige die Ausnahmeregelung in Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht, einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit zu versagen.

3. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Sprungrevision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Richtlinie 91/439/EWG sei vom Amtsgericht falsch angewendet worden. Es sei zu besorgen, dass in Zukunft Kraftfahrzeugführer, denen in der Bundesrepublik Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen wurde, unter Umgehung der Sperrfrist auf dem vom Amtsgericht gebilligten Weg in einem anderen Mitgliedstaat eine Fahrerlaubnis erwerben. Dabei sei nicht auszuschließen, dass in diesem Mitgliedstaat nach einem Entzug der Fahrerlaubnis an deren Neuerteilung geringere Anforderungen gestellt werden, als dies in Deutschland der Fall ist.

4. Mit Beschluss vom 21.10.2005 hat der Senat das Verfahren bis zur Vorabentscheidung des EuGH im Verfahren 4St RR 031/05 ausgesetzt. Im genannten Bezugsverfahren waren dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Senatsbeschluss vom 9.9.2005 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt worden:

Lässt Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG in einem derartigen Fall eine gesetzliche Regelung des Aufnahmestaats zu, wonach von der Fahrerlaubnis des Ausstellungsstaats nur auf Antrag und nach Prüfung, ob die Voraussetzungen der Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie entfallen sind, im Aufnahmestaat Gebrauch gemacht werden darf,

oder folgt aus dem Gebot der gege...

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