Leitsatz (amtlich)

1. Für die Klage eines in Deutschland ansässigen Versicherungsnehmers gegen einen Versicherer mit Sitz in Liechtenstein auf Schadensersatz wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken eines im Jahre 2004 geschlossenen Lebensversicherungsvertrages sind deutsche Gerichte gemäß § 215 Abs. 1 VVG international zuständig. Soweit kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot droht, ist Art. 1 Abs. 2 EGVVG als Ausnahme zu der allgemeinen Überleitungsregelung in Art. 1 Abs. 1 EGVVG nicht über den Wortlaut hinaus im Wege der Analogie auf die Geltendmachung von Altansprüchen zu erstrecken, obwohl kein Versicherungsfall eingetreten ist. Vielmehr fehlt es insoweit an einer Regelungslücke und muss die gesetzgeberische Absicht respektiert werden, auch auf Altverträge im Grundsatz neues Recht anzuwenden.

2. § 215 Abs. 1 VVG erfasst auch Klagen von juristischen Personen als Versicherungsnehmern. Dies entspricht Systematik und Zielsetzung des VVG, wonach der Schutz des Versicherungsnehmers grundsätzlich nicht davon abhängig ist, dass eine natürliche Person oder ein Verbraucher Versicherungsnehmer ist.

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Urteil vom 31.07.2014; Aktenzeichen 1 HK O 4892/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Augsburg vom 31.7.2014, Az. 1 HK O 4892/13, aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das LG Augsburg zurückverwiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Prospekthaftung auf Schadensersatz in Anspruch wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken eines im Jahre 2004 mit der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages mit Vermögensverwaltung.

Die Beklagte rügt die fehlende internationale Zuständigkeit des LG Augsburgs.

Das LG Augsburg hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es verneinte seine internationale Zuständigkeit. § 215 VVG n.F. (nachfolgend zitiert als: § 215 VVG) sei auf den bereits im Jahre 2004 geschlossenen Versicherungsvertag nicht anwendbar. Hinzu komme, dass keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend gemacht würden, sondern aus Prospekthaftung und ähnlichem.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr Schadensersatzbegehren weiterhin verfolgt und den Antrag stellt, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils (AZ: 1 HKO 4892/13) an das LG Augsburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen. Sie macht weiterhin geltend, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei zu verneinen.

Sie ist insbesondere der Auffassung, dass sich eine internationale Zuständigkeit weder aus der EuGVVO (Verordnung [EU] Nr. 1215/2012 bzw. Verordnung [EG] Nr. 44/2001) ergebe, noch § 215 VVG anwendbar sei (s. die Berufungserwiderung vom 12.12.2014, S. 2 ff., 4f., Bl. 80 ff., 82f. d.A.). Denn vor dem 1.1.2008 geschlossene Altverträge wie der vorliegende unterfielen gem. Art. 1 Abs. 2 EGVVG altem Versicherungsrecht, sofern ein Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten sei. Zwar würden vorliegend keine Ansprüche aus Versicherungsfällen geltend gemacht. Jedoch gebe es keinen Grund, Ansprüche aus Versicherungsfällen und solche im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Versicherungsfalles unterschiedlich zu behandeln. Denn dies würde zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führen.

Die Beklagte macht ferner geltend, die Klägerin sei eine Kapitalgesellschaft. § 215 VVG spreche aber lediglich von dem "Wohnsitz" des Versicherungsnehmers, nicht auch von dessen Geschäftssitz oder dessen gewerblicher Niederlassung. Der ausdrückliche Hinweis auf die verbraucherschützende Wirkung der Gerichtsstandsregelung in der Begründung des Regierungsentwurfes der Neuregelung zeige deutlich, das der Gesetzgeber nur die Interessen von natürlichen Personen im Blick gehabt habe (s. den Schriftsatz der Beklagten vom 31.7.2015, S. 2, Bl. 91 d.A.).

Im Übrigen erfülle die Klägerin nicht den Begriff der Versicherungsnehmerin, da ausweislich des Antrags auf Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages (Anlage K 1) Versicherungsnehmerin der Beklagten eine "Roswitha S. Versicherungsvermittlung" sei (s. den Schriftsatz der Beklagten vom 31.7.2015, S. 2, Bl. 91 d.A.).

Schließlich beruft sich die Beklagte auf die in § 22 Abs. 1 S. 1 ihrer Versicherungsbedingungen (Anlage BB 9) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der am Geschäftssitz der Beklagten örtlich zuständigen Gerichte. Sie ist der Auffassung, diese Gerichtsstandsvereinbarung unterfalle Art. 23 Abs. 1 EuGVO a.F. und verdränge nationales Zuständigkeitsrecht. Es entspreche ganz herrschender Meinung, dass Art. 23 EuGVO a.F. nicht nur die Prorogation, sondern auch die Derogation eines europäischen Gerichts umfasse. Die Beklagte regt an, diesbezügliche Zweifel an der europäischen Rechtslage durch Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV klären zu lassen (s. den Schriftsatz der Beklagten vom 31.7.2015, S....

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