Entscheidungsstichwort (Thema)

Anscheinsbeweis bei Fahrzeugkollision

 

Normenkette

StVO § 7 Abs. 5 S. 1, § 17 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 14.10.2016; Aktenzeichen 12 O 3303/16)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten vom 24.11.2016 wird das Endurteil des LG München II vom 14.10.2016 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.I. Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache vollumfänglich Erfolg.

1.) Die Klage war abzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.

a) Wie bereits mit Verfügung vom 25.01.2017 ausgeführt, gilt Folgendes:

aa) Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Ansicht des LG, die Klägerin habe den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis erschüttern können. Denn zu den entscheidenden Parametern, nämlich dem Zeitraum zwischen dem Stillstand des klägerischen Pkws und der Kollision sowie dem Abstand zwischen dem Beklagten-Lkw und dem klägerischen Pkw bei Einleitung von dessen Spurwechsel, konnte der ausdrücklich hierzu befragte Zeuge Dr. T. ausweislich S. 3 des Protokolls der erstinstanzlichen Sitzung vom 14.10.2016 (= Bl. 22 d.A.) sowie - bzgl. des Abstandes - auch ausweislich S. 7 des Ersturteils keine Angaben machen. Damit ist nach wie vor prima facie davon auszugehen, dass der Zeuge Dr. T. entgegen § 7 V 1 StVO den Fahrstreifen gewechselt hat, obwohl eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, nämlich des Beklagten-Lkws, nicht ausgeschlossen war.

bb) Damit kann auch die Haftungsverteilung gem. Ersturteil (50 ./. 50) keinen Bestand haben. Vielmehr haftet die Klägerin alleine. Denn zu Lasten der Klägerin ist von einem Verstoß gegen § 7 V 1 StVO auszugehen, während den Beklagten belastende Umstände nach den insoweit nicht zu beanstandenden und den Senat daher gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Erstgerichts weder unstreitig noch zugestanden noch nachgewiesen sind (vgl. S. 7 des Ersturteils). Im Rahmen der gem. § 17 I, II StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung tritt in Fällen des Verstoßes gegen äußerste Sorgfalt fordernde Vorschriften wie § 7 V StVO die allgemeine Betriebsgefahr regelmäßig zurück (vgl. z.B. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 17 StVG, Rdnr. 16 m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon wäre zu machen, wenn aufgrund bestimmter - unstreitiger, zugestandener oder nachgewiesener - Umstände der Verursachungsanteil und/oder die Schuld als doch nicht so stark überwiegend zu bewerten wäre, dass die allgemeine Betriebsgefahr demgegenüber zurücktritt (vgl. König, a.a.O.; weiter gehend sogar noch KG, Urteil vom 30.05.2005, Az.: 12 U 82/04, juris, wonach eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten nur dann in Betracht kommt, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die ein Mitverschulden des anderen belegen, und wonach allein die Betriebsgefahr des anderen Kfz keine Mithaftung rechtfertigt). Derartige Umstände liegen hier indes nicht vor, insbesondere auch nicht etwa allein deswegen, weil sich die Kollision im Zusammenhang mit dem sog. Reißverschlussverfahren ereignet hat (vgl. dazu auch unten b) dd)).

b) Der klägerische Schriftsatz vom 16.03.2017 (Bl. 63-65 d.A.) gibt Anlass zu folgenden weiteren Ausführungen:

aa) Zunächst ist Folgendes richtigzustellen: Entgegen der Ansicht der Klägerin gelangte das Erstgericht nicht zum Ergebnis einer "zumindest teilweisen Entkräftung des Anscheinsbeweises", sondern zu einer uneingeschränkten Erschütterung, wobei angemerkt sei, dass der Rechtsprechung das Institut einer teilweisen Entkräftung des Anscheinsbeweises ohnehin fremd ist. Ebenso wenig stellte das Erstgericht fest, dass ein Verschulden des Zeugen Dr. T. "nicht erkennbar" sei. Vielmehr stütze es seine Entscheidung explizit darauf, dass keine Partei der jeweils anderen ein Verschulden des jeweiligen Fahrzeugführers habe nachweisen können.

bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin fehlt es auch im Falle eines Spurwechsels im Reißverschlussverfahren regelmäßig nicht an der für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen Typizität (vgl. auch Eggert in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2, Rdnr. 648 m.w.N.).

Keine einzige der von der Klägerin zitierten Entscheidungen besagt etwas anderes:

So hat das Kammergericht mit Beschluss (nicht "Urteil") vom 19.10.2009, Az.: 12 U 227/08, juris, insb. Folgendes ausgeführt (vgl. bei juris Rdnr. 7 und 10): "Soweit der Kläger meint, der Anscheinsbeweis würde im Hinblick auf das "Reißverschlussverfahren" nicht gelten, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. (...) Eine Mithaftung der Beklagten käme nur dann in Betracht...

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