Normenkette

ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG München (Entscheidung vom 18.01.2017; Aktenzeichen 22 O 770/16)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18.1.2017 (Az.: 22 O 770/16) aufgehoben.

2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

A. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage in Anspruch. Hinsichtlich der ursprünglichen Klaganträge wird auf die Klageschrift (Bl. 4 ff. der Akten) Bezug genommen.

In der Klageschrift ist die Anschrift des Beklagten mit G.-Str. 46 c, ... R. angegeben. Zeitgleich beantragte die Klägerin die öffentliche Zustellung der Klage, weil der Aufenthaltsort des Beklagten nicht bekannt sei (Bl. 1 ff. der Akten). Mit Verfügung vom 10.2.2016 ordnete das Landgericht die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens sowie die Zustellung der Klage an. Die Klage wurde laut Postzustellungsurkunde unter der genannten Anschrift in R. vom Postzusteller am 16.2.2016 in den Hausbriefkasten eingelegt. Eine Reaktion des Beklagten erfolgte (naturgemäß) nicht. Am 9.3.2016 erging Versäumnisurteil gegen den Beklagten gemäß § 331 Abs. 3 ZPO nach Klagantrag. Dieses wurde dem Klägervertreter gegen Empfangsbekenntnis am 22.3.2016 zugestellt und laut Postzustellungsurkunde wiederum unter der genannten Anschrift in R. vom Postzusteller am 22.3.2016 in den Hausbriefkasten eingelegt. Am 22.12.2016 ging ein Einspruch des Beklagten gegen das genannte Versäumnisurteil und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist beim Landgericht ein.

Durch das angegriffene Urteil hat das Landgericht sowohl den Einspruch als auch den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung wird Bezug genommen. Mit seiner zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung begehrt der Beklagte die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

B. Die Berufung hat Erfolg. Der Einspruch des Beklagten hätte nicht als unzulässig verworfen werden dürfen. Insbesondere ist die Einspruchsfrist gewahrt. Auf die beantragte Wiedereinsetzung in eine Versäumung der Einspruchsfrist kam es daher nicht an.

Der Beklagte hat die Einspruchsfrist nicht versäumt, weil ihm das Versäumnisurteil vom 9.3.2016 nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Die "Zustellung" vom 22.3.2016 durch Einlegung in den Hausbriefkasten ist nämlich unwirksam und konnte die Einspruchsfrist nicht auslösen, weil nach dem Prozessstoff davon auszugehen ist, dass der Beklagte zur fraglichen Zeit nicht mehr dort wohnte. Dieser Zustellungsmangel wurde nach § 189 ZPO frühestens dadurch geheilt, dass der Beklagtenvertreter am 19.12.2016 Kenntnis von dem Versäumnisurteil erlangte. Damit ist der am 22.12.2016 eingegangene Einspruch binnen der zweiwöchigen Einspruchsfrist eingegangen.

Eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (und damit auch die Möglichkeit der Zustellung durch Einlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten, § 180 ZPO) ist nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16.6.2011 - III ZR 342/09, zitiert nach juris, dort Rz. 13). Nach dem Prozessstoff ist aber davon auszugehen, dass der Beklagte am 22.3.2016 nicht mehr unter der angegebenen Anschrift in R. wohnte.

1. Der Kläger hat schon zeitgleich mit der Klage im Antrag auf öffentliche Zustellung der Klage vorgetragen, dass der Aufenthalt des Beklagten unbekannt sei und sich nicht habe ermitteln lassen (was impliziert, dass er nicht mehr unter der in der Klageschrift angegebenen Anschrift wohnte). Dem ist der Beklagte zu keiner Zeit entgegen getreten. Daher ist unstreitig, dass der Beklagte schon bei Klageerhebung und auch später nicht mehr in R. wohnte. Da die Zulässigkeit des Einspruchs zwar von Amts wegen, aber nach dem Beibringungsgrundsatz auf der Basis des unstreitigen oder bewiesenen Prozessstoffs zu beurteilen ist, ist dieser unstreitige Befund zugrunde zu legen.

2. Nichts anderes ergibt sich aus den sonstigen den Akten zu entnehmenden Befunden.

a) Die Postzustellungsurkunde vom 22.3.2016 erbringt nur Beweis dafür, dass das Versäumnisurteil in den Hausbriefkasten unter der genannten Anschrift eingelegt wurde, nicht aber dafür, dass der Beklagte tatsächlich dort wohnte.

b) Der Kläger hat als Anlagen zur Klage Meldeamtsauskünfte (wonach der Beklagte "verzogen" ist) und eine Auskunft der gegen den Beklagten ermittelnden Staatsanwaltschaft (wonach der Aufenthalt des Beklagten dort unbekannt war) vorgelegt. Dies zwingt zu der Überzeugungsbildung, dass der Beklagte im Zustellungszeitpunkt keine Wohnung mehr unter der genannten Anschrift in R. hatte.

Zwar hat die melderechtliche An- und Abmeldung...

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