Entscheidungsstichwort (Thema)

Unerreichbarkeit eines Auslandszeugen

 

Normenkette

ZPO §§ 128a, 286 Abs. 1 S. 1, § 355 Abs. 1 S. 1, § 363 Abs. 2, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 1073 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 12.07.2013; Aktenzeichen 71 O 2130/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 1.8.2013 wird das Endurteil des LG Landshut vom 12.7.2013 (Az. 71 O 2130/11) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Landshut zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Landshut vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

 

Entscheidungsgründe

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I. Das LG hat nach derzeitigem Verfahrensstand zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz verneint und die Klage abgewiesen, ohne sämtliche angebotenen Beweise zu erheben.

1. Nach Auffassung des Senats hat das LG verfahrensfehlerhaft von der Anhörung der Zeugin A. S. (D.) abgesehen, deren Einvernahme mit Beschluss vom 2.3.2012 (Bl. 63/64 d.A.) angeordnet worden war.

a) Der Kläger hat mehrfach auf Befragen seitens des Gerichts ausdrücklich erklärt, auf die Zeugin nicht zu verzichten (Bl. 57 d.A.), das Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Erholung des Gutachtens genügt daher nicht für die Annahme eines "stillschweigenden" Verzichts, zumal das LG dem Kläger mit Beschlussfassung betreffend die Anberaumung eines Verkündungstermins lediglich durch begleitende Verfügung mitteilte, wie es seine Zustimmung werte. Eine Verzichtserklärung des Klägers kann in der unterbliebenen Äußerung angesichts der vormaligen ausdrücklichen Erklärung, dass auf die Zeugin nicht verzichtet wird, nicht gesehen werden, es hätte vielmehr einer erneuten Anfrage bedurft.

b) Das Beweismittel ist auch im Hinblick auf das Ergebnis des Gutachtens nicht als völlig ungeeignet anzusehen. Die Kollisionsgeschwindigkeit des BMW betrug 23 km/h. Die Einlassung des Klägers, wie er sie auch anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme = Bl. 22 d.A. vortrug und die durch Einvernahme der Zeugin unter Beweis gestellt wurde, ist damit widerlegt. Hinsichtlich des behaupteten Stillstandes des BMW mag die Zeugin wegen der Feststellungen des Sachverständigen auch ein völlig ungeeignetes Beweismittel sein, aber es kommt eine Überzeugungsbildung dahin in Betracht, dass es auf Grund eines kollisionsbedingten Zurückschleuderns des Pkw Audi zum Unfall kam.

2. Hinsichtlich des Anscheinsbeweises teilt der Senat ebenfalls nicht die Ansicht des LG:

a) Bei einem typischen Auffahrunfall haftet der Auffahrende grundsätzlich allein und in voller Höhe. Im Allgemeinen spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen, der auf ein vor ihm (vorwärts) fahrendes oder stehendes Fahrzeug fährt, weil der Auffahrende in diesen Fällen entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist (§ 1 II StVO) (vgl. BGH VersR 1964, 263, 264; VersR 1982, 672; NZV 1989, 105). Der Auffahrende kann den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis erschüttern oder ausräumen, wenn er Umstände darlegt und beweist (nicht etwa nur behauptet), die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen atypischen Geschehensablaufs ergeben (BGH NJW 1982, 1595, 1596; NZV 1989, 105).

Erschüttert bzw. ausgeräumt ist der Anscheinsbeweis nach Ansicht des KG, Urt. v. 20.1.1994 - 12 U 4863/93 [juris] etwa dann, wenn der Auffahrende nachweist, dass der Vorausfahrende unter Verstoß gegen § 4 I 2 StVO ohne zwingenden Grund plötzlich stark gebremst hat. Jedenfalls mit einem "ruckartigen" Stehenbleiben muss der Hintermann nicht ohne weiteres rechnen, etwa einem Abwürgen des Motors mit sofortigem Stillstand des Fahrzeugs (BGH NJW 1987, 1075; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.11.2003 - I-1 U 28/02 [juris]). Es fehlt dann der gegen den Auffahrenden sprechende und den Anscheinsbeweis begründende typische Geschehensablauf (BGHZ 192, 84 = NJW 2012, 608 = NZV 2011, 177 f.; OLG Naumburg NJW-RR 2003, 809 = VRS 104 [2003] 417; OLG Düsseldorf 8.3.2004 - 1 U 97/03; OLG Hamm NJW-RR 2004, 173; Senat, Urt. v. 4.9.2009 - 10 U 3291/09; KG NZV 2011, 185 f.).

Vorliegend ist durch das Gutachten bewiesen, dass es zur Kollision kam, weil der Audi durch die vorangegangene Kollision plötzlich zum Stillstand kam oder - was im Übrigen wahrscheinlicher ist - zurückgeschleudert wurde, wobei er sich zum Kollisionszeitpunkt noch in Rückwärtsfahrt befand (Gutachten S. 16 = Bl. 104 d.A.), während der Kläger bei Fortführung des Abbiegevorganges ohne Abbremsung am Audi vorbeigelangt wäre. Damit ist für die Annahme eines Anscheinsbeweises kein Raum mehr, weil auf Grund bewiesener Umstände ein anderer Geschehensablauf in Betracht zu z...

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