Leitsatz (amtlich)

Der Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden ist entkräftet, wenn der Vorausfahrende im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall den Fahrstreifen gewechselt hat.

Der rechtliche Zusammenhang zwischen dem Spurwechsel und dem Auffahren ist noch nicht unterbrochen, wenn sich der Unfall ereignet, nachdem der Fahrstreifenwechsler etwa 5 Sekunden im Fahrstreifen des Auffahrenden befunden hat.

In einem solchen Fall spricht der Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 22/09)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.

Der Kläger befuhr am 19.3.2008 um 5:20 Uhr mit seinem Pkw Renault in 14055 Berlin die Heerstraße auf dem rechten Fahrstreifen hinter dem Pkw des Zeugen M. Neben dem Pkw des Zeugen M befand sich auf dem mittleren Fahrstreifen der von der Beklagten zu 2) geführte Pkw, der bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist. Die Pkw standen vor einer roten Ampel oder fuhren langsam auf diese zu.

Nachdem die dort befindliche Ampel von rot auf grün umgesprungen war, fuhr der Kläger rechts an der Beklagten zu 2) vorbei und wechselte auf den von ihr befahrenen mittleren Fahrstreifen. Als er kurze Zeit später Wildschweine sah, bremste er. Kurz darauf fuhr die Beklagte zu 2) mit ihrem Pkw auf den Pkw des Klägers auf.

Der Kläger behauptet, er habe etwa 200 m nach der Ampel den linken Blinker gesetzt und sich mit Hilfe der Außenspiegel und seiner doppelten Rückschaupflicht vergewissert, dass sich keine Autos neben bzw. hinter ihm befanden. Dann habe er die Spur nach links gewechselt. Ungefähr 8 Sekunden später habe er Wildschweine gesehen und eine Vollbremsung eingeleitet. Zwei bis drei Sekunden nachdem er zum Stillstand gekommen sei, sei die Beklagte zu 2) mir ihrem Pkw von hinten aufgefahren.

Der Kläger meint, für ihn sei es unmöglich gewesen, den Unfall zu vermeiden, weil er sich schon auf dem linken Fahrstreifen befunden habe. Die Beklagte treffe das volle Verschulden für den Schaden.

Der Kläger macht die Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 5.907,14 EUR an sich sowie die Zahlung von 541,33 EUR an den Sachverständigen und 310,89 EUR an eine Autovermietung geltend.

Die Beklagten behaupten, der Verkehrsunfall sei auf einen rücksichtslosen Spurwechsel des Klägers zurückzuführen. Der Zeuge M habe ungefähr 150 bis 200 m nach der Ampel Wildschweine wahrgenommen und erst leicht, später kräftig gebremst. Noch während des Bremsvorganges habe der Kläger ihn mit überhöhter Geschwindigkeit überholt und dabei nicht den notwendigen Sicherheitsabstand beachtet. Erst da habe er offenbar die Wildschweine wahrgenommen und gebremst. Die Beklagte zu 2) habe trotz sofort eingeleiteter Bremsung ihr Fahrzeug nicht mehr vor dem Anstoß auf das klägerische Fahrzeug zum Stillstand bringen können.

Das LG hat nach Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 2) sowie nach Einvernahme des Zeugen M die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet, weil der Unfall für keine der Parteien sich als unabwendbares Ereignis dargestellt habe und nach Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteil der Kläger den Unfall überwiegend verschuldet habe. Gegen ihn spreche der Anscheinsbeweis, dass er die ihm gem. § 7 Abs. 5 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten missachtet habe. Der Fahrstreifenwechsel des Klägers sei unstreitig, weshalb bei einer Kollision mit dem nachfolgenden Verkehr unmittelbar nach dem Fahrstreifenwechsel der Anschein für die Missachtung der Sorgfaltspflichten des Fahrstreifenwechslers spreche. Dieser Anscheinsbeweis sei nicht entkräftet worden. Der Vortrag des Klägers, er sei schon 8 Sekunden in der linken Fahrspur gefahren bevor er die Vollbremsung eingeleitet habe, sei nicht mit den überzeugenden Angaben des Zeugen M in Einklang zu bringen. Zudem würde dieser Vortrag, selbst wenn er zuträfe, den unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang des von dem Kläger vorgenommenen Fahrstreifenwechsels nicht beseitigen. Die für einen Auffahrunfall entwickelten Rechtsgrundsätze fänden keine Anwendung, wenn der Vorausfahrende den Fahrstreifen gewechselt habe. Der bei einem Fahrstreifenwechsel anzuwendende hohe Sorgfaltsmaßstab gebiete es, die Betriebsgefahr des Auffahrenden nicht zu berücksichtigen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die zuletzt in erster Instanz gestellten Anträge weiter verfolgt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:

Das Urteil sei rechtswidrig. Dem Kläger sei es gelungen nachzuweisen, dass es sich bei dem Unfall für ihn um ein unabwendbares Ereignis gehandelt habe. Der Fahrspurwechsel des Klägers habe nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfall gestanden, sondern sei abgeschlossen gewesen, als die Beklagte zu 2) auffuhr. Der Kläger habe ausgesagt, dass di...

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