Verfahrensgang

LG Traunstein (Aktenzeichen 6 O 3771/95)

 

Tatbestand

Der Beklagte zu 1) verursachte am 3.1.1993 gegen 2.10 Uhr in stark alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall, indem er mit seinem PKW in einer Linkskurve der Staatsstraße 2092 von Rimsting kommend auf die Gegenfahrbahn geriet und dort mit einem entgegenkommenden PKW kollidierte. Durch den Zusammenstoß wurde die hinter dem Fahrer im entgegenkommenden PKW sitzende, nicht angegurtete Klägerin schwer verletzt. Sie erlitt u.a. ein Schädelhirntrauma II. Grades, multiple Gesichtsschädelfrakturen und Oberschenkelfrakturen beiderseits. Als Dauerschaden werden u.a. ein in die Augenhöhle zurückgesunkener Augapfel sowie Narben über der Augenhöhle verbleiben.

Die Klägerin hat erstinstanzlich den Beklagten zu 1) sowie seine Haftpflichtversicherung als Beklagte zu 2) auf Schmerzensgeld, Ersatz materieller Schäden sowie Feststellung der Ersatzpflicht für etwaige weitere Schäden aus dem Unfallereignis in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat der Klägerin neben dem von der Beklagten zu 2) bereits vorprozessual bezahlten Schmerzensgeld von DM 20.000,- ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von DM 60.000,- sowie Ersatzansprüche in Höhe von 80% der festgestellten materiellen Schäden zuerkannt; es hat zudem festgestellt, daß die Beklagten zum Ersatz von 80% aller weiteren Schäden verpflichtet sind, die der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Unfall noch entstehen. In Höhe von jeweils 20% liege eine Mitverursachung der Schäden durch die Klägerin vor, da sie zum Unfallzeitpunkt nicht angegurtet gewesen sei. Die gravierendsten Verletzungen der Klägerin hätten, wie ein Sachverständigengutachten ergeben habe, bei Anlegen des Gurtes vermieden werden können.

Gegen das Urteil des Landgerichts richtet sich die Berufung der Klägerin, die die Rechtsauffassung vertritt, daß das Mitverschulden der Klägerin im vorliegenden Fall hinter dem massiven Verschulden des Beklagten zu 1) zurückzutreten hätte. Angemessen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von noch weiteren DM 40.000,- sowie Ersatz aller sonstiger Schäden zu 100%.

Die Beklagten möchten im Wege der Anschlußberufung erreichen, daß dem Erkenntnis eine Haftungsquote von 70% und eine Mitverschuldensquote von 30% zugrundegelegt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat zum Teil Erfolg, die Anschlußberufung der Beklagten nicht.

1.a) Der Senat hält einen Gesamtschmerzensgeldbetrag von 110.000,-- DM für angemessen. Die Verletzungen der Klägerin sind außerordentlich schwer. Sie hat nicht nur lange Zeit in stationärer Behandlung verbringen müssen, sondern auch bleibende Schäden davongetragen, die sich auf die Gehfähigkeit und insbesondere das Gesicht, die Augen sowie das Gehör betreffen. Die Klägerin ist durch den Unfall auch psychisch und in ihren gesamten Lebensumständen beeinträchtigt. In vergleichbaren Fällen hat die Rechtsprechung Schmerzensgeldbeträge in der Größenordnung von 150.000,-- DM für angemessen gehalten (vgl. z. B. Hacks-Ring-Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 18. Auflage, Nrn. 1959, 1961).

b) Die Klägerin muß sich allerdings einen Mitverursachungsbeitrag bezüglich der Verletzungen anrechnen lassen. Gerade die schweren und bleibenden Schäden, die zu dem relativ hohen Schmerzensgeld führen, sind nämlich durch den Verstoß gegen die bereits seit 01.08.1984 auch für die Rücksitze geltende Anschnallpflicht bedingt. Wäre die Klägerin angeschnallt gewesen, wäre sie signifikant geringer beeinträchtigt geworden, wie die vom Landgericht erholten Gutachten zur Überzeugung des Senats ergeben haben. Aus diesem Grund kann der Mitverursachungsbeitrag der Klägerin an ihren Verletzungen hier nicht zurücktreten. Dies kann in Ausnahmefällen allerdings bei einem überragenden Versagen des Unfallgegners, der auf die Gegenfahrbahn geraten ist und erheblich betrunken war, der Fall sein (vgl. insoweit BGH NJW 98, 1138, OLG Hamm, OLG-Report 97, 132 sowie Senat vom 16.12.1998 7 U 4684/98). Für eine solche Ausnahme ist aber kein Raum, wenn gerade die Verletzung der Anschnallpflicht für den Grad der Verletzungen prägende Wirkung hatte und, wie hier, einen Körperschaden von solcher Schwere verursachte, die den Bereich gewöhnlicher Unfallfolgen bei angeschnallten Beifahrern weit übersteigt. Ist der Verursachungsbeitrag aber so hoch, kann er auch gegenüber ganz schwerem Verschulden nicht zurücktreten, da bei der Abwägung in erster Linie das Maß der Verursachung maßgeblich ist (vgl. BGH aaO. sowie NJW 81, 287 ff.). Es kommt danach für die Haftungsverteilung entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maß wahrscheinlich gemacht hat.

Der angemessene Schmerzensgeldbetrag ist freilich durch eine Gesamtabwägung zu ermitteln und kann nicht schematisch nach Verursachungsquoten gekürzt werden. Der vom Landgericht durchaus zutreffend für angemessen gehaltene Verursachungsbeitrag von 20 % muß sich schon deshalb nicht in gleichem Umfang auf das Schmerzensgeld mindernd ausw...

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