Leitsatz (amtlich)

Scheitern Verständigungsgespräche, sind vom Gericht eingegangene "einseitige Verpflichtungen" gegenüber dem Angeklagten gesetzwidrig und führen zur Aufhebung des auf einer solchen Verpflichtung beruhenden Strafurteils, weil nur so die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Revisionsgerichte zur Kontrolle von Verständigungen im Strafverfahren effektiv umgesetzt werden können.

 

Tatbestand

Sachverhalt:

1. Die Staatsanwaltschaft Traunstein legte dem Angeklagten und einem Mittäter mit Anklageschrift vom 28. August 2012 u. a. Betrug (im besonders schweren Fall) zur Last und erhob die öffentliche Klage zum Landgericht Traunstein - Jugendkammer. Diese eröffnete das Hauptverfahren mit Beschluss vom 11. Oktober 2012 vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Traunstein und ließ die Anklageschrift im hier verfahrensgegenständlichen Schuldvorwurf des Betrugs zur Hauptverhandlung zu (hinsichtlich eines weiteren Anklagepunkts, der den Mittäter betraf, wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt). Am 30. Januar 2013 fand vor dem Jugendschöffengericht die Hauptverhandlung statt, auf Grund derer das Amtsgericht den Angeklagten (und seinen Mittäter) des (banden- und gewerbsmäßigen) Betrugs für schuldig befand und ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilte. Der Angeklagte und sein damaliger Pflichtverteidiger (der gewählte Verteidiger blieb der Hauptverhandlung fern) nahmen das Urteil an und verzichteten auf Rechtsmittel.

2. Mit am 1. Februar 2013 eingegangenem Schriftsatz seines Wahlverteidigers hat der Angeklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt; es ist vorgetragen worden, der erklärte Rechtsmittelverzicht sei wegen Verstoßes gegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam. Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, des Pflichtverteidigers und des Verteidigers des Mitangeklagten hat die Jugendkammer des Landgerichts Traunstein mit Beschluss vom 24. April 2013 die Berufung des Angeklagten kostenpflichtig als unzulässig verworfen. Auf die am 10. Mai 2013 eingegangene sofortige Beschwerde hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts München den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts wegen Verstoßes gegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO, der auch bei "informellen Verständigungen" gelte, aufgehoben (Az.: 1 Ws 469/13 - zit. nach [...]) und den erklärten Rechtsmittelverzicht des Angeklagten für unwirksam erachtet; der 1. Strafsenat hat dem Berufungsverfahren weiteren Fortgang gegeben.

3. Aufgrund der Hauptverhandlung vom 24. Juli 2013 hat die Jugendkammer des Landgerichts Traunstein das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 30. Januar 2013 im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzte. Die weitergehende Berufung des Angeklagten hat die Strafkammer als unbegründet verworfen.

Die Jugendkammer hat der Verurteilung folgenden Schuldspruch zugrunde gelegt:

"Festgestellter Sachverhalt

Der Angeklagte XXX und der bereits verurteilte Mitangeklagte XXX sind Teile eines Zusammenschlusses verschiedener Personen mit Sitz in Litauen, die mit sogenannten "Enkelbetrügereien" ein nicht nur geringfügiges Einkommen erzielen. Die Tätigkeit besteht (jedenfalls auch) darin, in Deutschland lebenden Menschen mit Hilfe von sogenannten Schockanrufen Geld zu entlocken und sich auf deren Kosten zu bereichern.

Die Personengruppe geht dabei bewusst arbeitsteilig vor:

Mittels litauischer Mobilfunknummern von derzeit noch unbekannten Personen ("Anbahnern") werden vornehmlich russischstämmige Opfer in Deutschland angerufen und diesen dann bewusst wahrheitswidrig vorgespiegelt, dass ein naher Angehöriger in einen Unfall oder ein ähnliches Geschehen verwickelt worden sei; deshalb sei unbedingt kurzfristig eine größere Menge Geld erforderlich, um Schaden von dem nahen Angehörigen abzuwenden. Wenn die Opfer der frei erfundenen Geschichte Glauben schenken und zu einer Zahlung bereit sind, verleitet der Anrufer die Geschädigten dazu, Bargeld bereit zu halten, das im unmittelbaren Anschluss von einem "Abholerteam", das ein "Logistiker" zu den Opfern dirigiert, übernommen wird. Das Opfer wird dabei von dem Anrufer aus Litauen bewusst so lange am Telefon gehalten, dass dieses gar nicht zum Nachdenken kommen und noch während des Gesprächs das Geld abgeholt werden kann.

Aufgabe des Angeklagten XXX und des Verurteilten XXX war es in dieser Gesamtstruktur, als "Abholerteam" möglichst schnell zu den Opfern zu fahren, um das Bargeld sofort in Empfang zu nehmen, bevor die Opfer misstrauisch wurden bzw. werden konnten. Das "Abholerteam" befand sich dabei im Zeitpunkt der Anrufe aus Litauen bei den Opfern bereits in der Gegend, wo die Opfer wohnten, und konnten daher schnell vor Ort sein.

Die Angeklagten sollten als Entlohnung nach der Rückkehr nach Litauen jeweils 10 % der Einnahmen bekommen.

Der Verurteilte XXX war bei den Geldabholungen dafür zuständig, zu den Wohnungen der Opfer zu gehen, dort zu klingeln un...

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