Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Zuständigkeit: Bauwerkvertrag als "Dienstleistung" und vorgehende Rechtshängigkeit bei einem anderen europäischen Gericht bei wechselseitigen Ansprüchen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Jeder Bauwerkvertrag stellt i.S.v. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO eine "Dienstleistung" dar. Dass das Dienstleistungselement auch im Einzelfall die überwiegende Vertragspflicht bildet, ist nicht erforderlich.

2. Zur vorgehenden Rechtshängigkeit bei einem anderen europäischen Zivilgericht im Fall wechselseitiger Ansprüche und nachträglicher Klageerweiterung.

 

Normenkette

EGV 44/2001 Art. 1, 5 Nr. 1 Buchst. b Alt. 2, Art. 23 Abs. 1, Art. 27; EGRL 123/2006 Art. 4 Nr. 1; ZPO § 148

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 07.10.2010; Aktenzeichen 11 O 12124/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG München I vom 7.10.2010 - 11 O 12124/09, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Zwischen den Parteien besteht Streit aus einem Bauvertrag. Vorliegend streiten die Parteien zunächst über die internationale Zuständigkeit des LG München I, das sich nach Art. 5 EuGWO als unzuständig erklärt hat.

Der in Deutschland ansässige Kläger beauftragte schriftlich am 11.11.2005 die in den Niederlanden ansässige Firma B.B.BV, der Errichtung diverser Glashäuser in München-Daglfing (Anlage K 1). Der Vertrag in deutscher Sprache nimmt auf beigefügte "Spezifikationen" in deutscher Sprache Bezug, die eine genaue Beschreibung der zu errichtenden Glashäuser und eine Auftragssumme von 415.300 EUR netto enthalten (vorgelegt als Anlage K 7 zum Schriftsatz vom 1.4.2011). Dem Vertrag vom 11.11.2005 waren die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Auftragnehmerin (Anlage B 1) nicht beigefügt. Wörtlich heißt es dazu im Vertrag: "Alle Lieferungen und Dienstleistungen beruhen auf den allgemeinen Geschäftsbedingungen der AVAG, deponiert bei der Gerichtskanzlei in Den Haag, den 10.8.1994, unter der Nummer ..." Dem Kläger wurden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen erst im vorliegenden Prozess bekannt. Vor dem Vertragsschluss hat der Kläger nach eigenem Bekunden 10 Jahre in den Niederlanden gelebt und gearbeitet, so dass er der niederländischen Sprache mächtig ist.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.4.2011 hat der Kläger ein Luftbild der Glashausanlage übergeben und dazu persönlich ohne Widerspruch des Gegners ausgeführt: Die Anlage überdecke eine Fläche von rund 3.500 m2. Die Spannweiten der Glashäuser entsprächen international üblichen Normmaßen, es seien aber dennoch erhebliche Planungsleistungen erforderlich gewesen. Zum einen habe die Glashausanlage der Grundstücksform durch eine gerasterte Front angepasst werden müssen. Zum anderen seien schon in der Planungsphase große konstruktive Schwierigkeiten aufgetreten, weil quer durch die Anlage eine Brandwand aus Beton habe eingezogen werden müssen und diese Wand naturgemäß nicht die vom Winddruck verursachten Bewegungen von bis zu 20 cm der unmittelbar daran anschließenden Stahl-Glas-Konstruktion der Glashäuser mitmachen konnte.

In ihren Schriftsätzen stimmen die Parteien darin überein, dass deutsches materielles Recht, insbesondere das Werkvertragsrecht des BGB, auf das Vertragsverhältnis anzuwenden ist.

Im April 2007 nahm der Kläger das Werk ab und setzte mit Schreiben vom 23.7.2007 eine letzte Frist zur Mangelbeseitigung bis 15.8.2007. Die Firma B. nahm die Frist nicht wahr und wurde insolvent. Am 1.11.2007 wurde über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. Der Konkursverwalter übertrug u.a. eine Restwerklohnforderung aus dem streitgegenständlichen Bauvorhaben an die Beklagte.

Mit der vorliegenden Klage (eingegangen beim LG München I am 1.7.2009) begehrt der Kläger im Wege der Teilklage einen Vorschuss von 20.000 EUR zur Mangelbeseitigung und ferner die Erteilung einer Schlussrechnung, die er zur Abrechnung erhaltener Subventionen benötige. Der Kläger meint, die Beklagte hafte wegen Firmenfortführung. Im März 2010 erweiterte der Kläger die Klage um einen Hilfsantrag und begehrte zuletzt Feststellung, dass er Restwerklohn nur Zug um Zug gegen Beseitigung genau bezeichneter Mängel schulde, die die Beklagte bestreitet.

Die hiesige Beklagte erhob in den Niederlanden durch Klageschrift vom 4.8.2009 gegen den hiesigen Kläger Klage auf Restwerklohn i.H.v. 80.000 EUR zum Gericht in S'Gravenshage (Geschäftszeichen/Nummer der Terminrolle: 348474/HA ZA 09-3276). Durch Urteil vom 13.1.2010 hat das Gericht die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit abgewiesen (Anlage K 4, mit Übersetzung ins Deutsche). Das Gericht hat eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Art. 23 Abs. 1 EuGVVO abgelehnt und wörtlich ausgeführt: "Dieser Vertrag muss nach Ansicht des Gerichts im Rahmen der Bestimmung in Art. 5 Beginn sowie Ziff. 1 Buchstabe b zwe...

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