Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Unfallversicherung: Eintrittspflicht bei Tod eines auf Nüsse allergischen Kindes nach dem Verzehr von Schokolade

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die versehentliche bzw. unbewusste Aufnahme von Allergenen in einem Lebensmittel durch eine auf verschiedenen Stoffe bekannterweise allergische Person und die dadurch ausgelöste allergische Reaktion des Körpers - hier Tod eines auf Nüsse allergischen Kindes nach dem Verzehr von Schokolade - stellt einen Unfall im Sinn der privaten Unfallversicherung dar.

2. Die bestehende allergische Reaktionsbereitschaft des Körpers auf bestimmte Lebensmittelstoffe ist keine (mitwirkende) Krankheit im Sinn der privaten Unfallversicherung.

 

Normenkette

AUB §§ 1, § 1 ff.; VVG § 178 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Memmingen (Urteil vom 19.05.2011; Aktenzeichen 34 O 25/11)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 23.10.2013; Aktenzeichen IV ZR 98/12)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Memmingen vom 19.5.2011 - 34 O 255/11, aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.12.2010 zu bezahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht aus eigenem und abgetretenem Recht Leistungsansprüche aus einer Unfallversicherung geltend.

Die Klägerin und N. J. sind die Eltern und gesetzlichen Erben der am 24.12.2009 verstorbenen, bei der Beklagten mitversicherten K. J. (geb. 2.10.1994).

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der plötzliche Tod des Mädchens, das an einer angeborenen schwereren Entwicklungsstörung litt (Trisomie 18, Edwards-Syndrom) durch eine allergische Reaktion ihres Körpers auf Nahrungsmittel verursacht wurde, und ob in diesem Fall die Beklagte nach den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen leistungspflichtig ist.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf das Endurteil des LG Memmingen vom 19.5.2011 (Bl. 29/34 d.A.) Bezug genommen.

Das Erstgericht hat die Klage auf die der Höhe nach unstreitige Versicherungssumme von 27.000 EUR abgewiesen, da die von der Klägerin behauptete hochallergische Reaktion als Todesursache nicht unter den Unfallbegriff falle. Der von der Klagepartei vorgetragene willensgesteuerte normale Verzehr von Vollmilchschokolade sei kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis.

Soweit nach den Vertragsbedingungen Vergiftungen bei Kindern bis 14 Jahren infolge Einnahme fester und flüssiger Stoffe mitversichert seien, scheide auch eine analoge Anwendung dieser Bestimmung bereits deshalb aus, weil K. zum Todeszeitpunkt 15 Jahre alt gewesen sei und die Regelung hinsichtlich der Altersgrenze eindeutig und nicht auslegungsfähig sei.

Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft das Vorliegen eines vertragsgemäßen Unfallgeschehens verneint.

Das durch eine allergische Reaktion auf ein Lebensmittel hervorgerufene Todesereignis stelle sich genauso dar wie ein Ereignis des Erstickens durch Essen, an Erbrochenem oder durch Ertrinken. Bei einer hochallergischen Grunddisposition stelle es ein Einwirken von außen auf den Körper dar, wenn der Geschädigte den die Allergie auslösenden Stoff zu sich nehme und hierdurch unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleide.

Im Hinblick auf den zurückgebliebenen geistigen und körperlichen Entwicklungsstand von K., der mit dem einer 8-jährigen vergleichbar gewesen sei, und den Umstand, dass K. das 15. Lebensjahr noch nicht einmal seit 2 Monaten vollendet hatte, sei außerdem nach Sinn und Zweck der vereinbarten verbesserten Versicherungsklauseln eine Fallbehandlung wie bei unter 14-Jährigen und darüber hinaus die Analogie zu einer Vergiftung gerechtfertigt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des am 19.5.2011 verkündeten Urteils des LG Memmingen, Az. 34 O 255/11, zu verurteilen, an die Klägerin EUR 27.000 nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. hieraus seit 10.12.2010 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das Ersturteil.

Der Senat hat u.a. darauf hingewiesen, dass nach den vertragsgegenständlichen "Allgemeinen Verbesserungen zu den GUB 99 - Euro mit verbesserter Gliedertaxe" (bei Anlage K 7) auch die Folge von Lebensmittelvergiftungen ohne Altersbegrenzung mitversichert sind.

Im Berufungsverfahren wurde auf die Vorlage eines kinderärztlichen Attests durch die Klägerin (Anlage K 9) von der Beklagten unstreitig gestellt, dass bei K. multiple Allergien bestanden.

5Der Senat hat Beweis erhoben zur Todesursache von K. durch Einholung eines medizinischen Gutacht...

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