Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung der Vollstreckung rückständigen Unterhalts

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Verwirkung der Vollstreckung rückständigen Unterhalts kommt es bezüglich des Umstandsmoments auf die Untätigkeit im Rahmen von Vollstreckungshandlungen an. Das Zeitmoment ist aus dem Rechtsgedanken der §§ 1585b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Regel für die Zeit von einem Jahr vor dem erneuten Tätigwerden gegeben.

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

AG Rosenheim (Aktenzeichen 4 F 73/01)

 

Tenor

Zur Vorbereitung des Termins vom 12.9.2001 wird den Parteien vorgeschlagen, dass der gemeinsame seit 21.1.2001 volljährige Sohn R. dem Rechtsstreit zum Zweck des Vergleichsabschlusses beitritt und die Parteien sodann bei Kostenaufhebung folgenden Vergleich schließen:

I. Die Parteien sind sich einig, dass die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus dem Vergleich des FamG Rosenheim vom 3.12.1991 unzulässig ist.

II. Die Parteien sind sich einig, dass der gemeinsame Sohn R.W. aus dem Vergleich vom 3.12.1991 Unterhaltsrückstände erst ab dem 1.5.1999 vollstrecken kann (bzw. wenn bis zum Termin die genaue Höhe der seit 1.5.1999 erfolgten Zahlungen mitgeteilt wird, in welcher Höhe noch Unterhaltsrückstand vom 1.5.1999 bis einschließlich 31.8.2001 besteht).

 

Gründe

1. Der Kläger hat bei seiner Antragstellung im Termin vom 12.3.2001 übersehen, dass sich durch die Volljährigkeit des gemeinsamen Sohnes die Rechtslage geändert hat und damit sein Antrag entsprechend anzupassen war. Der in Prozessstandschaft von der Beklagten mit Vereinbarung vom 3.12.1991 erwirkte Kindesunterhaltstitel wirkt auch für oder gegen das Kind (§ 1629 Abs. 3 S. 2 BGB). Während der Minderjährigkeit des Kindes kann daher die Beklagte in eigenem Namen aus dem Titel vollstrecken oder nach Titelumschreibung das Kind (Palandt/Diederichsen, BGB, 60. Aufl., § 1629 Rz. 60; Heiß/Born, Unterhaltsrecht, Kap. 27 Rz. 13 ff.). Eine Titelumschreibung hat bisher nicht stattgefunden. Nach dem vorgelegten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Stuttgart vom 25.10.2000 betreibt bisher die Beklagte in eigenem Namen die Zwangsvollstreckung. Ab Volljährigkeit des Kindes, d.h. ab 21.1.2001 kann dagegen nur noch das Kind aus dem Titel vollstrecken, auch Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit (OLG München v. 2.5.1997 – 16 UF 822/97, FamRZ 1997, 1493; Gerhardt in FA-FamR, 3. Aufl., Kap. 6 Rz. 622). Da die Klage nur gegen die Beklagte gerichtet war und nicht in Parteierweiterung ab Volljährigkeit des Kindes auch gegen den gemeinsamen Sohn, hätte der Klageantrag daher ergänzt werden müssen, dass die Zwangsvollstreckung „der Beklagten” aus dem Vergleich vom 3.12.1991 für unzulässig erklärt wird (Gerhardt in FA-FamR, 3. Aufl., Kap. 6 Rz. 675; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 766 Rz. 12).

Insoweit besteht für die Berufung der Beklagten Erfolgsaussicht.

2. Um einen weiteren Rechtsstreit gegen den gemeinsamen Sohn zu vermeiden, wird die vorgeschlagene gütliche Einigung nahe gelegt. Das FamG hat zu Recht ausgeführt, dass die Vollstreckung eines Teils des titulierten Kindesunterhaltsrückstandes aus dem Gesichtspunkt der illoyal verspäteten Rechtsausübung verwirkt ist (BGH v. 16.6.1999 – XII ZA 3/99, FamRZ 1999, 1422). Der für eine Verwirkung nach § 242 BGB erforderliche Zeit- und Umstandsmoment ist vom Grundsatz her gegeben (vgl. BGH v. 13.1.1988 – IVb ZR 7/87, MDR 1988, 481 = FamRZ 1988, 370).

Die Beklagte hat zwar zutreffend ausgeführt, dass hierfür den Kläger die Darlegungs- und Beweislast trifft, nachdem es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt. Der Sachverhalt ist insoweit aber unstreitig. Nachdem es sich um eine Verwirkung der Vollstreckung aus einem Titel handelt, ist allein maßgebend, ob die Beklagte, bzw. das Kind, das sich ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters nach § 278 BGB anrechnen lassen muss, in der Zeit ab Einstellung der Unterhaltsleistung 1993 Vollstreckungsversuche unternommen hat. Dies war bis Mai 2000 unstreitig nicht der Fall.

Wie der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 25.10.2000 zeigt, wäre eine Zwangsvollstreckung aber ohne weiteres möglich gewesen, nachdem der Kläger in einem festen Arbeitsverhältnis steht. Damit ist sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment gegeben.

Die Beklagte hat aber zutreffend gerügt, dass die Verwirkung nicht den gesamten offenen Rückstand bis zum erneuten Tätigwerden erfassen kann, sondern dass das Zeitmoment nur für das Verstreichenlassen einer gewissen Frist vor diesem Zeitpunkt gilt (BGH v. 13.1.1988 – IVb ZR 7/87, MDR 1988, 481 = FamRZ 1988, 370). Da der Unterhalt der Lebensführung dient und bereits ein Vollstreckungstitel vorlag, konnte eine zeitnahe Durchsetzung des titulierten Anspruchs erwartet werden; aus dem Rechtsgedanken der §§ 1585b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist damit regelmäßig von einer Vollstreckungsverwirkung für den zurückliegenden Zeitraum von über einem Jahr seit dem erneuten Tätigwerden auszugehen (so im Ergebnis auch BGH v. 16.6.1999 – XII ZA 3/99, FamRZ 1999, 1422). ...

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