Leitsatz (amtlich)

1. Die Entstehung auch der reduzierten Verfahrensgebühr in der Berufungsinstanz nach den Nrn. 3200, 3201 RVG-VV setzt voraus, dass der Rechtsanwalt in Erfüllung eines ihm erteilten Prozessauftrags im Rechtsmittelverfahren in irgendeiner Weise tätig geworden ist (Fortführung von OLG München JurBüro 1994, 93).

2. Allein aus der Entgegennahme der Berufungsschrift durch den Prozessbevollmächtigten (der ersten Instanz) des Rechtsmittelgegners kann ohne einen dahin gehenden - erforderlichenfalls glaubhaft gemachten - Sachvortrag nicht der Schluss gezogen werden, dass dieser geprüft hat, ob etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist (entgegen KG Beschluss vom 21.1.2009 - 2 W 57/08, MDR 2009, 469 = JurBüro 2009, 261).

 

Normenkette

ZPO §§ 103-104; RVG-VV Nrn. 3200-3201

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 18.12.2009; Aktenzeichen 4 O 22850/08)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 25.10.2012; Aktenzeichen IX ZB 62/10)

 

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG München I vom 18.12.2009 wird aufgehoben und der Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten vom 26.11.2009 zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Wert der Beschwerde beträgt 2.926,20 EUR.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat gegen das Endurteil des LG München I vom 25.6.2009, mit dem ihre Klage abgewiesen worden war, mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 4.9.2009 Berufung eingelegt und darauf hingewiesen, dass Antragstellung und Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleiben sollten. Die Berufungsschrift ist den Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 11.9.2009 zugestellt worden. Die Klägerin hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 25.9.2009 zurückgenommen. Der 15. Zivilsenat des OLG München hat daraufhin mit Beschluss vom 28.9.2009 der Klägerin die durch ihre Berufung entstandenen Kosten auferlegt. Die Beklagtenvertreter haben mit Schriftsatz vom 26.11.2009 die Festsetzung einer 1,1 Verfahrensgebühr gemäß den Nrn. 3200, 3201 RVG-VV i.H.v. 2.906,20 EUR zzgl. der Pauschale für Post- und Telekommunikation i.H.v. 20 EUR beantragt. Diese Kosten hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 18.12.2009 antragsgemäß festgesetzt.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, die in Ansatz gebrachten Gebühren seien nicht angefallen. Zugleich mit Einlegung der Berufung sei der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der 1. Instanz mit Schreiben vom 4.9.2009 unterrichtet worden, dass die Berufung vorerst nur fristwahrend eingelegt worden sei und dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten benachrichtigt werde, ob die Berufung durchgeführt werde oder nicht. Gleichzeitig sei er gebeten worden, sich nicht zu bestellen. Dies sei auch nicht geschehen. Die Berufung sei noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zurückgenommen worden. Es seien somit keine Gebühren für die zweite Instanz angefallen. Dies folge auch aus § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG. Eine Mandatierung des gegnerischen Anwalts für das Berufungsverfahren werde bestritten.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).

Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Die Rechtspflegerin hat unter den gegebenen Umständen zu Unrecht eine 1,1 Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gemäß den Nrn. 3200, 3201 RVG-VV zugunsten des Beklagten festgesetzt.

Der Beklagte war grundsätzlich als Rechtsmittelgegner berechtigt, für die zweite Instanz einen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, auch wenn das Rechtsmittel der Klägerin nur zur Fristwahrung eingelegt worden war. Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei kann nämlich regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist. Ihr kann daher nicht zugemutet werden, zunächst die weiteren Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten (BGH NJW 2003, 756 = JurBüro 2003, 257 = Rpfleger 2003, 217). Die einseitige Bitte der Klägerin, der Beklagte möge für das Berufungsverfahren zunächst noch keinen Rechtsanwalt bestellen, ändert hieran nichts, weil hierdurch noch kein Stillhalteabkommen zustande gekommen ist (BGH NJW 2003, 756 und 2992; Senat OLGR 2004, 282; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., W 3200 Rz. 70).

Die Entstehung der Verfahrensgebühr in der Berufungsinstanz - auch der reduzierten Gebühr nach der Nr. 3201 RVG-VV - setzt jedoch voraus, dass der Rechtsanwalt in Erfüllung eines ihm erteilten Prozessauftrags in der Rechtsmitte linstanz in irgendeiner Weise tätig geworden ist (OLG München JurBüro 1994, 93 [94]; Senatsbeschluss vom 3.4.2008 - 11 W 1133/08; KG Beschl. v. 22.9.2005 - 27 W 180/05 - RVGreport 2006, 31 mit zust. Anm. von Hansens).

a) Allein die Entgegennahme der Berufungsschrift und deren Weiterleitung an die Partei reicht hierfür nicht aus, da diese Tätigkeiten gem. § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG noch zum ersten Rechtszug gehören und durch die dort entstandenen Anwaltsgebühren abgegolten sind (Sen...

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