Leitsatz (amtlich)

Beschwerde, Staatsanwaltschaft, Befangenheit, Staatsanwalt, Durchsuchung, Beurteilung, Kostenentscheidung, Beamten, Einzelfall, Besorgnis, Annahme, Vorbringen, Begriff, Partei, abweichende Beurteilung, Besorgnis der Befangenheit

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Beschluss vom 30.06.2022; Aktenzeichen 64 O 3216/21 Die)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 30.06.2022 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I. Im vorliegenden Rechtsstreit, in dem sich die beklagte Automobilherstellerin gegen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Dieselskandal verteidigt, teilte die zuständige Richterin mit Verfügung vom 28.04.2022 den Parteien mit, dass sie im Februar 2018 als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft M. II ausschließlich unterstützend an einer Durchsuchung der Firmenräumlichkeiten der Beklagten teilgenommen habe. Sie habe auch in diesem Kontext keinen Einblick in die bei ihrer damaligen Behörde geführte Ermittlungsakte gehabt und sei auch nicht in die Auswertung der Beweismittel involviert gewesen. Mit Schriftsatz vom 06.05.2022 lehnte die Beklagte die Richterin daraufhin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Am 23.05.2022 gab die Richterin eine dienstliche Stellungnahme ab, in der sie auf die Verfügung vom 28.04.2022 Bezug nahm. Mit Beschluss vom 30.06.2022 wies das Landgericht Ingolstadt das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Mit am selben Tag per beA bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 15.07.2022 legte die Beklagte gegen den ihr am 01.07.2022 zugestellten Beschluss sofortige Beschwerde ein, der das Landgericht mit Beschluss vom 25.07.2022 nicht abhalf.

II. Die Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie wurde in zulässiger Weise, insbesondere fristwahrend im Sinne von § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhoben.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Sowohl im rechtlichen Ausgangspunkt als auch im Ergebnis in der Würdigung des Sachverhalts schließt sich der Senat der sorgfältig begründeten Entscheidung des Landgerichts Ingolstadt an, auf die zur Meidung von Wiederholungen nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen Bezug genommen wird.

Die Beschwerdebegründung, die im Wesentlichen das Vorbringen des Ablehnungsgesuchs wiederholt, rechtfertigt eine abweichende Beurteilung hier nicht.

Der Beschwerdebegründung ist allerdings zuzubilligen, dass es Stimmen in der Literatur gibt (z.B. Stackmann in MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 42 Rn. 23), die die Vorbefassung des Richters als Staatsanwalt im Regelfall als Ablehnungsgrund genügen lassen wollen. Ob mit der Aussage, der Ablehnungsgrund sei im Fall der atypischen Vorbefassung als ermittelnder Staatsanwalt anzunehmen (Vollkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 42 Rn. 17) eine inhaltliche Einschränkung hierzu zum Ausdruck gebracht werden soll, mag offenbleiben. Denn auch nach diesen Stimmen in der Literatur gibt es keinen Automatismus, der eine Ablehnung erzwingt. Rechtlich ließe sich ein solcher Automatismus auch nicht rechtfertigen. Dies folgt schon daraus, dass die detaillierte Regelung des § 41 ZPO diese nicht eben ungewöhnliche Konstellation gerade nicht erfasst, von einem Ausschluss nach dieser Bestimmung daher auch nicht ausgegangen werden kann. Der Ablehnungsgrund muss danach in konkreten auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 18.12.2014, IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444f.; bei Juris Rn. 11).

Bezogen auf den konkreten Einzelfall lassen sich solche Gesichtspunkte nicht finden. Als Ermittlungsführerin oder gar Anklagevertreterin trat die abgelehnte Richterin in ihrer Zeit als Staatsanwältin der Beklagten jedenfalls nicht entgegen.

Der vom Landgericht herangezogene Aspekt, dass sich die Ermittlungen gegen natürliche Personen und nicht gegen die Beklagte selbst richtete, überzeugt zwar nicht. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung kam durchaus in Betracht, dass die Beklagte als Nebenbeteiligte im Sinne von § 444 StPO in Betracht kam und es ist allgemein bekannt, dass gegen die Beklagte im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen auch eine Geldbuße verhängt wurde. Aber auch vor diesem Hintergrund ist der Umstand, dass die abgelehnte Richterin im Zusammenhang mit den zeitgleich an mehreren Orten stattfindenden Durchsuchungsmaßnahmen im Kontext eines großen Ermittlungsverfahrens gegen einen der führenden Automobilhersteller am Tag der Durchsuchung an einem der Durchsuchungsobjekte eingesetzt war, nicht geeignet, bei der Beklagten Zweifel an der Unvoreingenommenheit dieser Richterin zu erwecken.

Zutreffend weist schon die Beschwerde darauf hin, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht nur das Auffinden belastenden, sondern auch entlastenden Materials zum Ziel hatten. Der bloße Umstand, dass die Richterin als Staatsanwältin bei einer Durchsuchung zugegen ist, kann hier die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen, zumal auch die Beklagte nicht geltend macht, dass die abgelehnte Rich...

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