Leitsatz (amtlich)

1. Die Wechselbezüglichkeit der Einsetzung der Kinder des vorverstorbenen Ehegatten aus dessen erster Ehe als Schlusserben entfällt nicht allein deswegen, weil der überlebende Ehegatte erhebliches Vermögen von seiner Verwandtschaftsseite nach dem Tod des vorverstorbenen Ehegatten erhalten hat.

2. Der überlebende Ehegatte ist jedoch dann zu einer neuen Verfügung befugt, wenn und soweit im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung eine entsprechende Abänderungsbefugnis festgestellt werden kann. Hierbei ist sowohl hinsichtlich der Annahme als auch des Umfangs der Abänderungsbefugnis ein strenger Maßstab anzulegen.

3. Ein Irrtum über die mit dem Tod des Erstversterbenden eintretende Bindungswirkung bei wechselbezüglichen Verfügungen stellt keinen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum dar (im Anschluss an BayObLG FamRZ 2003, 259).

 

Normenkette

BGB §§ 2069, 2078 Abs. 1, § 2270 Abs. 1-2, § 2271

 

Verfahrensgang

AG München (Beschluss vom 15.03.2010; Aktenzeichen 60 VI 7694/09)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des AG München vom 15.3.2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 3 hat die den Beteiligten zu 1 und 2 im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die 2009 im Alter von 81 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Ihr Ehemann ist 1983 vorverstorben. Aus der ersten Ehe des vorverstorbenen Ehegatten gingen der Beteiligte zu 1 sowie G. M., verstorben am 25.1.2006, unter Hinterlassung des Beteiligten zu 2, geboren 1976, hervor.

Am 23.10.1982 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben ihres gesamten Nachlasses einsetzten. Erbe des Letztversterbenden sollten der Beteiligte zu 1 sowie G. M. sein.

Am 29.11.2007 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament, in dem sie ihre Nichte, die Beteiligte zu 3, als Alleinerbin einsetzte.

Die Beteiligte zu 3 hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist. Sie ist der Ansicht, für die Erbfolge sei das Testament vom 29.11.2007 maßgeblich. Die Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament vom 23.10.1982 seien jedenfalls hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung nicht wechselbezüglich, so dass die Erblasserin neu habe testieren können. Darüber hinaus stamme der Nachlass im Wesentlichen aus einer Erbschaft der Erblasserin, die ihr erst nach dem Tod des Ehemannes zugefallen sei. Es sei von den Ehegatten keinesfalls beabsichtigt gewesen, die Erblasserin hinsichtlich des unerwarteten Vermögensanfalls zu binden. Außerdem fechte sie das gemeinschaftliche Testament hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung an, da sich die Erblasserin bei der Schlusserbeneinsetzung in einem Irrtum befunden habe. Diese habe nicht damit gerechnet, dass ihr jüngerer Bruder vor ihr versterben und sie ihn beerben würde. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sie im Jahr 2007 nach dem Tod ihres Bruders ein neues Testament errichtet habe.

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind dem Antrag entgegengetreten und haben ihrerseits einen Erbschein beantragt, der sie als Miterben zu je 1/2 ausweist. Sie sind der Auffassung, für die Erbfolge sei das gemeinschaftliche Testament von 1982 maßgeblich. Nach dem Tod des Ehemannes habe die Erblasserin die wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung nicht mehr ändern dürfen. Der Beteiligte zu 2 sei als Sohn der vorverstorbenen Tochter des Ehemannes an deren Stelle getreten.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 15.3.2010 unter inzidenter Zurückweisung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 3 einen Erbschein bewilligt, wonach die Beteiligten zu 1 und 2 Miterben zu je 1/2 sind. Das Nachlassgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Einsetzung der Kinder des vorverstorbenen Ehemannes in dem gemeinschaftlichen Testament von 1982 aufgrund wechselbezüglichen Verfügungen der Ehegatten erfolgt sei. Diese Wechselbezüglichkeit entfalle auch nicht dadurch, dass die Erblasserin nach dem Tod des Ehemannes als Miterbin nach ihrem am 16.7.2006 verstorbenen Bruder in erheblichem Umfang Grund- und Geldvermögen geerbt habe. Auch die erklärte Anfechtung des Testaments wegen Irrtums greife nicht durch, da diese bereits daran scheitere, dass die Anfechtungsfrist gem. §§ 2283, 2082 BGB abgelaufen sei. Der Beteiligte zu 2 trete als Ersatzerbe seiner vorverstorbenen Mutter gem. § 2069 BGB in deren Miterbenstellung ein.

Mit der Beschwerde macht die Beteiligte zu 3 geltend, dass das Nachlassgericht rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sich die Erbfolge ausschließlich nach dem Testament vom 23.10.1982 bestimme. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts liege eine Wechselbezüglichkeit nicht vor. Hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Annahme ergäben sich nicht aus dem Testament. Zudem hätten sich die Ehegatten hinsichtlich einer etwaigen Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen keine Gedanken gemacht. Auch hab...

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