Leitsatz (amtlich)

Ein Kuss kann bei erwachsenen Personen verschiedenen Geschlechts nicht stets und ohne Rücksicht auf die Begleitumstände als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit gewertet werden (BGH NStZ-RR 2007, 12). Dies gilt auch für den (versuchten) Zungenkuss (BGH StV 1983, 415). Als maßgebliche Umstände für die vorzunehmende Bewertung kommen insbesondere Intensität und Dauer des Kusses sowie etwaiger begleitender Handlungen, wie Berührungen des Körpers, das Verhältnis zwischen Täter und Opfer und die konkrete Tatsituation in Betracht.

 

Tatbestand

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 EUR. Dem lagen folgende Feststellungen zu Grunde:

Die Geschädigte besuchte am 18.August 2007 gegen 2.00 Uhr kurz die Gaststätte "Sch" am Sch in M. Dort wollte sie zunächst nur Geld wechseln, weil sie am nächsten Morgen Kleingeld für ihre Kinder benötigte, die einen Ausflug machten, entschloss sich dann aber doch zur Bestellung eines Getränks in der Gastwirtschaft. Die Gastwirtschaft kannte sie aus früheren Besuchen. Sie war dem Wirt und einigen Gästen dort als "M" bekannt. In der Gaststätte befand sich der Angeklagte, der mit anderen Personen an einem Tisch würfelte oder Karten spielte. Die Geschädigte saß am Tresen des Lokals. Der Angeklagte und die Geschädigte kannten sich nicht, da die Geschädigte dem Angeklagten sympathisch war, gab er ihr ein "Rüscherl" aus. Einige Zeit später stand der Angeklagte auf und ging zum Tresen des Lokals, wo es zu einem kurzen, belanglosen Gespräch mit der Geschädigten kam. Da der Wirt die Gaststätte schließen wollte, kaufte sich der Angeklagte noch eine Flasche Bier zum Mitnehmen und verließ das Lokal. Wenig später verließen auch die verbliebenen Gäste, so auch die Geschädigte, das Lokal. Die Geschädigte wollte zu Fuß nach Hause gehen, als plötzlich der Angeklagte mit seinem Fahrrad neben ihr auftauchte und ihr anbot, sie nach Hause zu begleiten. Da der Geschädigten diese Situation unangenehm war, erfand sie einen Vorwand. Sie gab an, dass dies nicht erforderlich sei, weil sie ohnehin von ihrem Ehemann abgeholt würde. Der Angeklagte äußerte sinngemäß, dass er sie dennoch nach Hause begleiten werde. Als die Geschädigte und der Angeklagte, der sein Fahrrad schob, sich auf dem Weg Richtung U-Bahn befanden, packte der Angeklagte die Geschädigte für sie völlig überraschend am Hals/Genick, zog sie heran und küsste sie auf den Mund. Der Angeklagte versuchte, mit seiner Zunge in den Mund der Geschädigten einzudringen, was ihm nicht gelang, weil die Geschädigte Zähne und Lippen zusammenpresste. Zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten befand sich zu diesem Zeitpunkt das Fahrrad, welches der Angeklagte schob. Der Geschädigten war es bei dem überraschenden Zupacken des Angeklagten noch gelungen, ihren rechten Arm anzuwinkeln, so dass er zwischen ihrem und dem Oberkörper des Angeklagten war. Nach diesem überraschenden Kussversuch sagte der Angeklagte: "Ist dir schon recht, oder?" Die Geschädigte, die nicht vom Angeklagten geküsst werden wollte, äußerte: "Nein, überhaupt nicht". Gleichzeitig versuchte sie, mit ihrem Arm den Oberkörper des Angeklagten wegzudrücken, was ihr nicht gelang, weil der Angeklagte kräftiger war. Obwohl der Angeklagte die ablehnende Haltung der Geschädigten erkannte und insbesondere auch ihre verbale Ablehnung verstand, sagte er zu ihr: "Dann können wir es ja gleich noch einmal machen". Daraufhin zog der Angeklagte die Geschädigte erneut am Genick zu sich heran und küsste sie auf den Mund, wobei er wiederum erfolglos versuchte, mit der Zunge in ihren Mund einzudringen. Der Vorgang dauerte nur wenige Sekunden. Danach setzten die Geschädigte und der Angeklagte den Weg zum U-Bahnhof Kieferngarten fort. Die Geschädigte war aufgrund der Aufdringlichkeiten des Angeklagten in große Angst geraten und befürchtete, dass der Angeklagte sie vergewaltigen wolle. Da die Straßen zu dieser Zeit um ca. 2.30 Uhr menschenleer waren, wagte die Geschädigte nichts mehr zum Angeklagten zu sagen und hoffte, dass sie auf andere Personen treffen würde oder den Angeklagten durch schnelles Gehen abschütteln könnte. Am U-Bahnhof eingetroffen, sagte der Angeklagte, er müsse urinieren und begab sich hinter einen Baum. Diese Gelegenheit nutzte die Geschädigte, um sich schnellen Schrittes zu entfernen. Sie traf zufällig auf zwei jugendliche Mädchen, die sie um Hilfe bat. Wenig später kam der Angeklagte ebenfalls wieder hinzu und äußerte fröhlich: "Da bin ich wieder". Die beiden Mädchen verwickelten den Angeklagten in ein Gespräch und die Geschädigte lief zu einem nahen Altenheim und rief bei dem Pförtner um Hilfe. Der Angeklagte entfernte sich und ging nach Hause. Der Angeklagte war zur Tatzeit alkoholisiert. Aufgrund seiner Trinkmengenangaben ist von einer Mindestblutalkoholkonzentration von 0,55 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X bis maximal 1,65 ___AMPX_‰_SEMIKOLONX___X auszugehen. Der Angeklagte war alkoholbedingt enthemmt, seine Steueru...

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