Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein privatschriftliches Testament in der Wohnung des Erblassers gefunden und kann ausgeschlossen werden, dass Dritte ungehinderten Zugriff darauf hatten, ist davon auszugehen, dass Veränderungen an der Urkunde vom Erblasser selbst vorgenommen wurden.

2. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kann davon ausgegangen werden, dass großflächige Durchstreichungen, die sich über die gesamte Urkunde erstrecken, in Widerrufsabsicht angebracht worden sind.

 

Normenkette

BGB §§ 2255, 2258

 

Verfahrensgang

AG Kempten (Aktenzeichen 551 VI 1510/20)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) - Nachlassgericht - vom 21.04.2022, Az. 551 VI 1510/20, aufgehoben.

2. Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 vom 07.03.2020 wird zurückgewiesen.

3. Der Beteiligte zu 1 hat den Beschwerdeführern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

4. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.

 

Gründe

I. Die Erblasserin ist zwischen dem 25.09.2020 und dem 26.09.2020 verstorben. Sie war geschieden und kinderlos.

Sie hinterließ ein handschriftliches Testament vom 07.03.2020. In diesem setzte sie ihren Freund/Lebensgefährten, den Beteiligten zu 1, als Alleinerben ein. Ihre Brüder, die Beteiligten zu 2 und 3, wurden ausdrücklich enterbt. Das 3-seitige Testament weist über alle 3 Seiten jeweils mehrere Durchstreichungen auf, die den gesamten Text umfassen. Zudem wurde ein undatiertes und nicht unterschriebenes maschinenschriftliches Testament aufgefunden, das im Wesentlichen denselben Inhalt wie das handschriftliche Testament hat.

Auf der Grundlage des Testaments vom 07.03.2020 beantragte der Beteiligte zu 1 einen Erbschein (Antrag vom 30.08.2021), der ihn als Alleinerben ausweisen soll.

Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 21.04.2022 die Erteilung eines solchen Erbscheins an. Es begründete seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss vom 21.04.2022 im Wesentlichen wie folgt: Das Testament sei durch die Durchstreichungen nicht widerrufen worden. Das eingeholte Sachverständigengutachten könne zwar keinen Aufschluss darüber geben, wann die Durchstreichungen erfolgt sind (mithin also auch nicht belegen, ob oder dass sie nach dem Tod der Erblasserin erfolgten). Da aber Zweifel verblieben, ob die Durchstreichungen von der Erblasserin vorgenommen worden seien, gingen diese Zweifel zu Lasten der Beteiligten zu 2 und 3.

Der Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 vom 12.05.2022 half das Nachlassgericht nicht ab und legte die Akten dem OLG München zur Entscheidung vor.

Der 31. Zivilsenat (31 Wx 291/22) hat die Nichtabhilfeentscheidung mit Beschluss vom 02.08.2022 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens an das Nachlassgericht zurückgegeben.

Nach Richterwechsel hat das Nachlassgericht mit Beschluss vom 13.03.2023 der Beschwerde erneut nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Es stützt seine Entscheidung nunmehr im Wesentlichen auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (3 Wx 63/16), wonach "bei - unterstellter - Urheberschaft des Erblassers in Bezug auf die Streichung grundsätzlich eine Vermutung für einen entsprechenden Aufhebungswillen spricht, diese widerlegt [sei], wenn sich ... der Wille des Erblassers ergibt, dass der durch die Streichung nahe gelegte Widerruf der Verfügung bloß eine neue letztwillige Verfügung mit der Bestimmung eines neuen Erben vorbereiten, bis zu deren Errichtung indes die alte fortgelten sollte". Derartige Zweifel sollen hier bestehen, weil die Erblasserin noch kurz vor ihrem Tod Dritten gegenüber geäußert habe, ihre Brüder (die Beteiligten zu 2 und 3) sollten nichts bekommen.

Der Senat hat am 09.10.2023 mündlich verhandelt und die Beteiligten persönlich angehört.

II. Die Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.

Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach sich ein Widerrufswille seitens der Erblasserin nicht feststellen lasse und deswegen das handschriftliche Testament vom 07.03.2020 fortgelte, nicht.

1. Das Testament vom 07.03.2020 wurde formwirksam errichtet. Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob dieses Testament, das über alle drei Blätter, die physisch nicht miteinander verbunden sind, jeweils schräge Durchstreichungen enthält, die den gesamten Text umfassen, von der Erblasserin in Widerrufsabsicht durchgestrichen worden ist, oder ob die Durchstreichungen von einer dritten Person, oder aber von der Erblasserin, aber nicht in Widerrufsabsicht, erfolgt sind.

a) Grundsätzlich trägt derjenige die Feststellungslast für die Wirksamkeit eines Testaments, der Rechte aus diesem herleiten will. Die Feststellungslast für eine Widerrufshandlung des Erblassers in Widerrufsabsicht trägt derjenige, der sich darauf beruft (BayObLG, Beschluss vom 22.07.1983, 1 Z 49/83, BayObLGZ 1983, 204; MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 5; NK-BGB/Kroiß, 6. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 21). Falls sich...

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