Leitsatz (amtlich)

1) Das zivilgerichtliche Feststellungsurteil entfaltet präjudizielle Rechtskraft für das Erbscheinsverfahren in den Grenzen seiner subjektiven und objektiven Rechtskraft und bindet das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung.

2) Alle Einwände gegen die Wirksamkeit des Testaments, die vor Eintritt der formellen Rechtskraft erhoben hätten werden können, bleiben im Erbscheinsverfahren unberücksichtigt, es sei denn, dass das zivilgerichtliche Urteil im Restitutionsverfahren aufgehoben wurde.

 

Normenkette

ZPO § 322 Abs. 1, § 580; BGB § 2353; BGB a.F. §§ 2358-2359

 

Verfahrensgang

AG Dachau (Beschluss vom 08.09.2015; Aktenzeichen VI 0626/09)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des AG Dachau - Nachlassgericht - vom 08.09.2015 wird zurückgewiesen.

2. Der Beteiligte zu 1 hat dem Beteiligten zu 2 die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 42.750 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtsnachfolge nach der am 21.07.2009 verstorbenen Erblasserin.

Der Beteiligte zu 1 (= Beschwerdeführer) ist der Sohn der Erblasserin. Der Beteiligte zu 2 ist der Enkel der Erblasserin (Sohn der bereits vorverstorbenen Tochter der Erblasserin).

Die Erblasserin errichtete am 04.06.2005 ein handschriftliches Testament, in dem sie ihren Enkel, den Beteiligten zu 2, als Alleinerben einsetzte. In einem späteren notariellen Testament vom 14.05.2007 setzte die Erblasserin ihren Sohn, den Beteiligten zu 1, als Alleinerben ein.

Der Beteiligte zu 2 beantragte am 12.3.2010 beim AG Dachau - Nachlassgericht - einen Alleinerbschein aufgrund des Testaments vom 04.06.2005; der Beteiligte zu 1 beantragte mit Schriftsatz vom 29.4.2010, den Antrag zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 16.2.2011 hat das Nachlassgericht das Verfahren ausgesetzt, da zwischenzeitlich vor dem LG München II unter dem Az.: 10 O 318/11 zwischen dem Beteiligten zu 2 als Kläger und dem Beteiligten zu 1 als Beklagten ein Rechtstreit über die Feststellung des Erbrechts rechtshängig gemacht worden war.

Das LG München II hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, das zu dem Ergebnis kam, dass die Erblasserin bei Errichtung des Testaments im Jahre 2007 testierunfähig war, durch Endurteil vom 2.8.2013 entschieden.

Der Tenor in der Hauptsache lautet:

"Es wird festgestellt, dass der Kläger Alleinerbe am Nachlass der am 21.07.2009 verstorbenen Erblasserin [...] geworden ist."

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 26.11.2013 als unzulässig verworfen.

Gestützt auf dieses Urteil hat das Nachlassgericht am 08.09.2015 nach Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss festgestellt, dass die Erbscheinerteilungsvoraussetzungen zugunsten des Beteiligten zu 2 vorliegen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am 12.10.2015 eingelegten Beschwerde. Er meint, das Urteil könne keine Bindungswirkung für das Nachlassgericht entfalten, weil die Berufung nur wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen worden sei. Im landgerichtlichen Urteil sei zudem nur die Frage der Testierfähigkeit streitig gewesen. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils führe nicht zu einer Bindungswirkung, da das Testament Spuren einer Manipulation aufweise. Insoweit habe sich das LG zu dieser Frage in seinem Urteil nicht geäußert.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 24.11.2015 der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet, denn zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens steht aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des LG München II vom 02.08.2013 fest, dass der Beteiligte zu 2 Erbe ist.

An diese Entscheidung ist das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung über den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 2 gebunden. Dies folgt aus der Vorgreiflichkeit der Entscheidung des LG. Deswegen erweist sich der angefochtene Beschluss in der Sache als zutreffend.

1. Das Verhältnis des (streitigen) Feststellungsurteils, das im Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergeht, zum Erbscheinsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist im Gesetz nicht geregelt. § 322 Abs. 1 ZPO regelt den Umfang der Rechtskraft unmittelbar nur für spätere Zivilprozesse (Leipold in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage [2008] § 322 Rn. 287). Die materielle Rechtskraft von Entscheidungen der Zivilgerichte ist jedoch innerhalb der objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft auch von den Gerichten anderer Gerichtszweige zu beachten (Büscher in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Auflage [2015] § 322 Rn. 126; MüKoZPO/Gottwald, 4. Auflage [2013] § 322 Rn. 66).

a) Nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur bindet das das Erbrecht feststellende Urteil in den Grenzen der subjektiven Rechtskraft das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung über die Erteilung eines Erbscheins (BayObLG FamRZ 99, 334, 335; MüKoBGB/J. Mayer, BGB 6. Auflage [2013] § 2359 Rn. 35, Palandt/Weidlich...

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