Leitsatz (amtlich)

1. Die Behauptung einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ist unbeachtlich, wenn das KBA weder für das jeweilige Fahrzeug noch für andere mit dem gleichen Motortyp ausgestatte Fahrzeuge wegen der behaupteten Prüfstandserkennungen einen Rückruf angeordnet hat, und der klagende Fahrzeugkäufer auch keine sonstigen greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug vorgetragen hat.

2. Weder die Überschreitung des für den NEFZ vorgegebenen Stickoxid- Grenzwerts im Realbetrieb auf der Straße noch ein im Rahmen einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme angebotenes Software-Update zur Verbesserung der Stickoxid-Emissionen lassen auf das Vorhandensein einer auf den Prüfstand abgestimmten Manipulationssoftware schließen.

3. Bei einem grundsätzlich auch außerhalb der Umgebungstemperaturen auf dem Prüfstand arbeitenden Thermofenster kommt der Vorwurf der objektiven Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB nur in Betracht, wenn der klagende Fahrzeugkäufer Anhaltspunkte dafür darlegt, dass der Motorhersteller bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hat, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hat.

 

Normenkette

BGB § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, §§ 443, 823 Abs. 2, §§ 826, 831; EG-FGV § 6 Abs. 1, 3, § 27 Abs. 1, § 37 Abs. 1; StGB § 263; EGVO 715/2007 Art. 5; ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 26 O 167/18)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 26. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Köln vom 13.03.2019, 26 O 167/18, wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird bis zum 23.02.2021 auf bis 35.000,00 EUR und ab dann auf bis 30.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen angeblichen Einsatzes unzulässiger Abschalteinrichtungen in seinem Dieselfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb am 20.01.2016 bei der A GmbH Niederlassung B das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug Mercedes-Benz E 220 T BlueTEC CDI als Gebrauchtwagen (Erstzulassung 14.07.2015) mit einem Kilometerstand von 20.334 km zu einem Kaufpreis von 44.150 EUR brutto.

In diesem mit der Schadstoffklasse Euro 6 zertifizierten Fahrzeug ist ein Motor mit der Motorenbezeichnung OM 651 DE 22 LA eingebaut. Zur Regulierung der Stickoxidemission erfolgt eine Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und erneut an der Verbrennung teilnimmt. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Außentemperaturen zurückgefahren (sog. Thermofenster), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Temperaturen dies geschieht. Das Fahrzeug verfügt ferner über ein SCR-System (selektive katalytische Reduktion). Dabei wird dem Abgas eine wässrige Harnstofflösung AdBlue zugeführt, die durch die hohen Temperaturen im Abgassystem in Ammoniak umgewandelt wird, der sodann in einem SCR-Katalysator mit den im Abgas enthaltenen Stickoxiden im Wesentlichen zu Stickstoff und Wasser reagiert und damit unter bestimmten physikalischen Rahmenbedingungen die weitgehende Umwandlung von Stickstoffoxid-Rohemissionen ermöglicht. Die Dosierung der einzuspeisenden AdBlue-Menge erfolgt nach Motorstart zunächst anhand einer Füllstandsberechnung und bei bestimmten Randbedingungen sodann nach dem sog. Onlinemodus oder erneut nach dem Füllstandsmodus.

Im März 2017 leitete die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts des Einbaus von Abschaltvorrichtungen in Motoren der Typen OM 642 und OM 651 gegen bekannte und unbekannte Mitarbeiter der Beklagten ein Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßigen Betruges und strafbarer Werbung ein. Im Mai 2017 kam es zu Durchsuchungen an vier Standorten der Beklagten.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (nachfolgend: KBA) rief im Jahr 2018 verschiedene von der Beklagten hergestellte und u.a. mit dem Motor OM 651 ausgestattete Fahrzeuge verschiedener Modelle diverser Baureihen aus unterschiedlichen Produktionszeiträumen wegen angeblich unzulässiger Abschalteinrichtungen zurück (Anlage BB1, Bl. 927 ff. GA). Die Beklagte hat gegen die Bescheide des KBA Anfechtungsklage erhoben, über die noch nicht abschließend entschieden ist. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht von einem behördlichen Rückruf betroffen. Die Beklagte bietet für dieses als "freiwillige Kundendienstmaßnahme" ein Software-Update zur Verbesserung der Stickoxid-Emissionen an. (Anlage K 10, Bl. 558 GA, Anl...

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