Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungsklage bei Verkauf unter Verstoß gegen EU-Beihilfenrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Nichtigkeit eines Kaufvertrages, der unter Verstoß gegen europarechtliche Beihilfevorschriften (Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV; Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV) geschlossen wurde, kann von einem Konkurrenten im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO geltend gemacht werden.

2. Auch bei (durch den Staat veräußerten) Sachen, für die ein nennenswerter Markt nicht besteht (hier: Abschnitt einer NATO-Gas-Pipeline), muss vor der Veräußerung eine unabhängige Wertermittlung erfolgen, um auf der Grundlage allgemein anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards den Marktwert zu ermitteln.

3. Ein unter Verstoß gegen europarechtliche Beihilfevorschriften zustande gekommener Kaufvertrag ist insgesamt nichtig. Eine Heilungsmöglichkeit kommt nicht in Betracht.

 

Normenkette

EGV Art. 87-88; AEUV Art. 108; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 26.03.2010; Aktenzeichen 1 O 510/05)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 05.12.2012; Aktenzeichen I ZR 92/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.3.2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Bonn - 1 O 510/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin, die ihre Kosten selbst trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt die Feststellung der Nichtigkeit eines zwischen der Beklagten und der Streithelferin im Jahr 2005 abgeschlossenen Kaufvertrages über die Veräußerung eines Teilstücks des Central Europe Pipeline Systems betreffend die Strecke N. - I. wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das EU-Beihilfenrecht.

Die Klägerin, die selbst Interesse am Erwerb der Pipeline hatte und ebenfalls in Vertragsverhandlungen mit den zuständigen Behörden stand, hat behauptet, dass der von der Streithelferin gezahlte Kaufpreis von 700.000 EUR deutlich unter dem Marktwert des Leitungsabschnitts liege. Sie hat die Ansicht vertreten, dass dies eine gem. Art. 88 Abs. 3 Satz 2 EGV notifizierungspflichtige Maßnahme darstelle. Mangels Notifizierung verstoße der Vertrag gegen das Durchführungsverbot gem. Art. 88 Abs. 3 EGV und damit gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sie und die Streithelferin sind dem Vorbringen der Klägerin im Einzelnen entgegengetreten. Sie haben die Ansicht vertreten, dass die Klage mangels Rechtschutzbedürfnisses der Klägerin schon unzulässig sei. In der Sache haben sie u.a. behauptet, dass weitere Interessenten nicht vorhanden gewesen seien. Das Angebot der Streithelferin sei unter den gegebenen Umständen das günstigste gewesen. Gestützt auf ein von der Streithelferin eingeholtes Gutachten der U. GmbH vom 15.9.2008 (Bl. 385 ff. GA) haben sie behauptet, der Marktwert des Leitungsabschnitts habe lediglich 530.000 EUR betragen. Abgesehen davon sei der Vertrag aufgrund der darin vereinbarten salvatorischen Klausel nicht insgesamt nichtig, sondern mit zulässigem Inhalt, d.h. marktgerechtem Kaufpreis aufrechtzuerhalten.

Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen des LG wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 542 - 557 GA) Bezug genommen.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme zum Marktwert des Leitungsabschnitts durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. L. vom 13.5.2008 (Sonderband "Gutachten zur Ermittlung des Marktwertes") und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 17.12.2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23.1.2009 (Bl. 416 ff. GA und Anlage zum Schreiben des Sachverständigen vom 23.1.2009, Bl. 422a GA) sowie Anhörung im Termin vom 20.1.2010 (Bl. 503 ff. GA nebst Anlage zum Sitzungsprotokoll) hat das LG der Klage stattgegeben. Das LG hat die Feststellungsklage gem. § 256 ZPO für zulässig erachtet, da die Klägerin ein gegenwärtiges Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages zwischen der Beklagten und der Streithelferin habe. Die Klage sei auch begründet. Der Vertrag zwischen der Beklagten und der Streitverkündeten sei unter Verstoß gegen die Notifizierungspflicht gem. Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV abgeschlossen worden und damit gem. §§ 134, 139 BGB insgesamt nichtig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei - auch unter Berücksichtigung der Einwände der Beklagten und der Streithelferin gegen die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. L. - erwiesen, dass das Teilstück der Pipeline zu einem den Marktpreis nicht unerheblich unterschreitenden Preis verkauft worden sei. Damit liege eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten vor, weil die aus dem Verkauf unter dem Marktpreis folgende Beihilfe geeignet sei, s...

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