Leitsatz (amtlich)

Haftung des Steuerberaters; Kenntnis des Steuerrechts: Veröffentlichungen in der Tagespresse zur möglichen Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm muss der Steuerberater ab dem Zeitpunkt beachten, in dem über die Anhängigkeit eines Verfahrens beim BVerfG berichtet wird.

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 20.07.2006; Aktenzeichen 2 O 175/05)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 20.7.2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Köln - 2 O 175/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt vom Beklagten, seinem langjährigen steuerlichen Berater, Schadensersatz wegen angeblicher Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit steuerberatender Tätigkeit.

Die Mandatierung des Beklagten umfasste die laufende Beratung und beinhaltete die Erstellung der Buchführung sowie der Steuererklärungen.

Der Kläger hatte im Jahr 1997 Einkünfte aus Spekulationsgewinnen i.H.v. 450.960 DM erzielt, im Jahr 1998 solche i.H.v. 678.536 DM. Unter dem 24.1.2001 erließ das Finanzamt K. die Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998. Die Bescheide gingen dem Beklagten am 24.1.2001 zu. Er legte gegen diese Bescheide keinen Einspruch ein, so dass sie mit Ablauf des 24.2.2001 bestandskräftig wurden.

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Leistung von Schadensersatz i.H.v. 318.712 EUR; hierbei handelt es sich um den Betrag, den er aufgrund der genannten Steuerbescheide an Spekulationssteuern entrichten musste.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte hätte gegen die genannten Einkommensteuerbescheide Einspruch einlegen müssen. Die Verfassungsmäßigkeit bzw. -widrigkeit von § 23 Abs. 1 S. 1b) EStG sei bereits lange vor der unterlassenen Einspruchseinlegung im Februar 2001 in Rechtsprechung und Literatur intensiv thematisiert und diskutiert worden. In der Ausgabe Nr. 4 der Zeitschrift EFG im Jahr 2000 sei das Urteil des Schleswig Holsteinischen FG vom 23.9.1999 - V 7/99 - mit dem ausdrücklichen Hinweis abgedruckt gewesen, dass gegen dieses Urteil Revision beim BFH eingelegt worden sei, auch das Aktenzeichen des BFH sei mitgeteilt worden. Damit habe bereits Anfang des Jahres 2000 festgestanden, dass beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig gewesen sei, das sich spezifisch mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit von § 23 Abs. 1 S. 1b) EStG befasst habe. Der BFH habe dann mit Beschl. v. 16.7.2002 - IX R 62/99 - die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift angenommen und habe eine Entscheidung des BVerfG hierzu eingeholt. Das BVerfG habe die Vorschrift für verfassungswidrig erklärt. In der einschlägigen Kommentarliteratur sei bereits seit Anfang 2000 von einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift ausgegangen worden.

Der Kläger hat behauptet, die zur Beurteilung anstehende Frage der Verfassungswidrigkeit von § 23 Abs. 1 S. 1 lit. 1. b) EStG sei vor Ablauf der Einspruchsfrist am 24.2.2001 die vermutlich am meisten diskutierte - und insbesondere auch in der Tagespresse am meisten publizierte - Frage des Steuerrechts gewesen. Der Kläger ist insoweit der Ansicht gewesen, der Beklagte habe diese Berichterstattung kennen, ihn hierüber informieren und ihm zur Einlegung eines Rechtsmittels raten müssen. Der Beklagte habe ihn so weit belehren müssen, dass ihm eine eigenverantwortliche Entscheidung möglich gewesen sei. Hätte der Beklagte ihn auf die Möglichkeit der Anfechtung und die einzuhaltenden Fristen hingewiesen, hätte er auf der Einlegung von Rechtsmitteln bestanden. Er behauptet, er sei auf der Grundlage der mit dem Beklagten vor Zustellung der maßgeblichen Steuerbescheide geführten Gespräche ohnehin als selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Beklagte vor dem Hintergrund des anhängigen und hinreichend medial verbreiteten sog. "Tipke-Verfahrens" Einspruch einlegen werde.

Wenn der Beklagte gegen die Steuerbescheide fristgerecht Einspruch eingelegt hätte, hätte er, der Kläger, die in den Steuerbescheiden aufgeführten Spekulationsgewinne nicht versteuern müssen. Ihm ist - insoweit unstreitig - ein Schaden i.H.v. 318.712 EUR entstanden - Anl K 3 AnlH.

Der Kläger hat behauptet, er habe das Thema der Verfassungswidrigkeit von § 23 Abs. 1 S. 1b) EStG mehrfach vor Ablauf der Einspruchsfrist mit dem Beklagten thematisiert. Dieser habe ihm erklärt, solange die Steuererklärungen noch offen seien, bestehe kein Handlungsbedarf. Ende Mai 2004 - nach Bekanntwerden der Entscheidung des BVerfG - habe der Beklagte ihm gegenüber eingeräumt, dass er einen Fehler gemacht habe.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 318.712 EUR nebst Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.4.2005 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, das von Prof. Tipke eingeleitete Klageverfahren sei zwischen den Parteien weder vor noch unmittelbar nach Erlass d...

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