Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen; Pflichten des gerichtlichen Sachverständigen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Unfallversicherung sind nur die körperlichen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, die innerhalb der maßgeblichen Frist (hier 15 Monate nach § 7 I (1) AUB 88) als invaliditätsbegründend festgestellt worden sind. Im Hinblick auf den Inhalt der ärztlichen Invaliditätsfeststellung bestehen grundsätzlich keine Hinweispflichten des Versicherers.

2. Der Versicherungsschutz ist nach § 2 IV AUB 88 wegen krankhafter Störungen infolge psychischer Reaktionen ausgeschlossen, wenn bei einer krankhaften Störung jegliche organische Ursache mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

3. Zur Frage des Ausschlusses jeglicher organischer Ursache (hier insbesondere auf orthopädischem und neurologischem bzw. neurochirurgischem Gebiet) bei einem Auffahrunfall mit HWS-Schleudertrauma.

4. Ein gerichtlicher Sachverständiger ist nicht gehindert, Hilfspersonen bei der Gutachtenerstellung hinzuzuziehen, solange er jedenfalls wesentliche Teile der klinischen Untersuchung selbst (mit) durchführt, die vorliegenden Befunde selbst würdigt, das von der Hilfsperson entworfene Gutachten selbst durchsieht und gegebenenfalls korrigiert.

5. Ein gerichtlicher Sachverständiger ist regelmäßig nicht verpflichtet, die dem Gutachten zugrunde liegenden Rohdaten oder Notizen, seien es eigene, seien es diejenigen der am Gutachten beteiligten weiteren Personen, die der Vorbereitung des Gutachtens dienen, den Parteien vorzulegen.

 

Normenkette

AUB 88 § 7; ZPO § 411

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 28.12.2005; Aktenzeichen 23 O 123/02)

BGH (Aktenzeichen NZB BGH IV ZR 149/12)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28.12.2005 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des LG Köln - 23 O 123/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am xx. xx. 1966 geborene Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der die AUB 88 zugrunde lagen. Die Versicherungssumme betrug 200.000 DM. Für die Altersgruppe der Klägerin war eine Verdoppelung der Leistung bei einem Invaliditätsgrad ab 80 % vorgesehen. Am 19.7.1998 befand sich die Klägerin als Beifahrerin in einem Pkw, der bei einem Verkehrsunfall mit der vorderen Seite gegen einen von rechts aus einer untergeordneten Straße kommenden W. stieß. Die Klägerin wurde mit dem Rettungswagen in das N. Krankenhaus C. gebracht. Im Aufnahmebogen ist als Untersuchungsergebnis u.a. "Wirbelsäule o. B." vermerkt. Die durchgeführten Röntgenaufnahmen ergaben keine pathologischen Befunde. Der Entlassungsbericht vom 20.7.1998 (Bl. 175 d.A.) enthält die Diagnosen "Stumpfes Bauchtrauma, Thoraxprellung rechts mit Gurtprellmarken, V.a. HWS-Distorsion". Weiter heißt es: "Bei nur geringer Beschwerdesymptomatik im Bereich der HWS wurde zunächst auf eine anatomische Zervicalstütze verzichtet."

Die Klägerin stellte sich am 24.7.1998 und 27.7.1998 jeweils bei dem praktischen Arzt L. und dem Arzt für Neurologie T. vor. Eine weitere Vorstellung bei L. erfolgte am 31.8.1998. Am 13.10.1998 suchte die Klägerin auf die Überweisung ihres Hausarztes K. die Ärztin für Neurologie I. auf. Wegen der von L. (s. Bl. 117, 839 d.A.), T. (s. Bl. 177 f. d.A.), K. (s. Bl. 860d. A) und I. (s. Bl. 69 f. d. A) erhobenen Anamnese und Befunde wird auf die zu den Akten gereichten Arztbriefe und Behandlungsunterlagen verwiesen.

Mit Schreiben vom 1.10.1998 (Bl. 65 d.A.) zeigte die Klägerin der Beklagten den Unfall an. Nach der Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen brachte die Klägerin den Bericht des Arztes für Neurologie X. vom 15.7.1999 (Bl. 72 f. d.A.) und die Bescheinigung der Ärztin für Orthopädie E. vom 2.9.1999 (Bl. 74 f. d.A.) bei, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Nachdem die Beklagte einen Vorschuss von 10.000 DM gezahlt hatte, erbrachte sie nach Einholung eines neurologischen und eines orthopädischen Gutachtens keine weiteren Leistungen.

Die Klägerin hat behauptet, dass bei ihr ein unfallbedingter Invaliditätsgrad von 100 % vorliege. Nach ihren Angaben gegenüber den sie behandelnden Ärzten und den tätig gewordenen Gutachten leidet sie insbesondere an Kopfschmerzen, Schmerzen und Verspannungen in Nacken und Schulter, Gefühlsstörungen (Taubheit, Kälte) und Kraftlosigkeit im linken Arm und teils im linken Bein, Schwindel, Störungen des Sehens, Hörens und Riechens sowie einem Aufmerksamkeitsdefizit.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 199.403,83 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 15.333,76 EUR seit dem 22.3....

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