Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 5 O 425/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 4. Mai 1999 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 5 O 425/98 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 7.771,63 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1998 zu zahlen.

Die Anschlußberufung des beklagten Landes wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden dem beklagten Land auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die klagende Gemeinde, die zugunsten des Beschuldigten Bruno Trockenbroch und dessen Ehefrau Sozialhilfeleistungen erbracht hat, nimmt das beklagte Land unter Berufung auf das Vorliegen eines gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 116 SGB X auf Zahlung einer Entschädigung für den Vollzug von Untersuchungshaft gemäß § 2 StrEG in Anspruch.

Der Beschuldigte befand sich vom 24.09.1996 bis zum 10.10.1997 in Untersuchungshaft. Mit Urteil vom 10.10.1997 wurde er freigesprochen. Gleichzeitig wurde gemäß § 8 StrEG die Entschädigungspflicht der Staatskasse festgestellt. Der Beschuldigte selbst hat wegen des immateriellen Schadens (§ 7 Abs. 3 StrEG) eine Entschädigung erhalten. Weitere Ansprüche hat er nicht geltend gemacht. Die Entschädigung für den Vermögensschaden beansprucht die Klägerin.

Der Beschuldigte war schon vor der Untersuchungshaft arbeitslos und hatte Arbeitslosenhilfe bezogen. Diese erhielt er während der Haft und auch nach deren Beendigung nicht mehr. Stattdessen gewährte die Klägerin ihm und seiner Ehefrau Sozialhilfeleistungen. Die Klägerin meint, auf Grund dieser Leistungen sei der Entschädigunganspruch des Beschuldigten auf sie übergegangen. Zu entschädigen seien alle durch den Wegfall der Arbeitslosenhilfe entstandenen Nachteile einschließlich der Zeit nach Beendigung der Untersuchungshaft, denn die Haft habe auch bewirkt, dass der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit danach erloschen sei.

Die Klägerin hat bei dem zuständigen Generalstaatsanwalt einen bezifferten Anspruch für die Zeit bis zum 28.02.1998 geltend gemacht und sich für die Folgezeit weitere Ansprüche vorbehalten. Der Generalstaatsanwalt hat eine Entschädigung für die Zeit ab dem 1.12.1997 abgelehnt. Die Entschädigung für die Zeit bis zum 30.11.1997 hat er auf 7.351,62 DM festgesetzt. Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin noch einen Anspruch in Höhe von 7.771,63 DM. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 1.092,25 DM (nebst Zinsen) stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Mit der Berufung und Anschlußberufung verfolgen die Parteien ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des genauen Inhalts der gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil und auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, ferner auf das im Sitzungsprotokoll vom 11.11.1999 bezeichnete Sonderheft.

 

Entscheidungsgründe

Beide Rechtsmittel sind zulässig. Sachlichen Erfolg hat aber nur die Berufung der Klägerin.

I.

Auf Grund der Entscheidung der Strafkammer vom 10.10.1997 ist das beklagte Land verpflichtet, den Beschuldigten wegen der Schäden, die er durch den Vollzug der Untersuchungshaft erlitten hat, zu entschädigen.

1.

Der Schaden des Beschuldigten besteht darin, dass er infolge des Vollzugs der Untersuchungshaft seinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe verloren hat.

a)

Während der Dauer der Untersuchungshaft erfüllte der Beschuldigte die Anspruchsvoraussetzungen deshalb nicht, weil er der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stand (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG). Eine den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechende Beschäftigung (§ 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG) konnte er während der Haft nicht ausüben. Auch war er nicht in der Lage, das Arbeitsamt täglich aufzusuchen (§ 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG).

b)

Die Haft führte darüber hinaus zum Verlust des Anspruchs für die Zukunft. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 erster Halbsatz AFG erlischt der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wenn seit dem letzten Tage des Bezugs von Arbeitslosenhilfe ein Jahr vergangen ist. Dies war bei dem Beschuldigten infolge der mehr als einjährigen Haftdauer der Fall. Der Ausnahmetatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 2 zweiter Halbsatz a AFG, wonach sich die Frist verlängert, wenn der Arbeitslose nur deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat, weil er nicht bedürftig ist, lag nicht vor. Durch die während der Haft von der Justizvollzugsanstalt gewährten Leistungen, die sich im wesentlichen auf Unterkunft und Verpflegung beschränkten, war die Bedürftigkeit nicht aufgehoben.

Eine erneute Anwartschaft auf Arbeitslosenhilfe hätte der Beschuldigte durch eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung in der Justizvollzugsanstalt erwerben können (§§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b, 107 Abs. 1 Nr. 6, 168 Abs. 3 AFG). Eine derartige Beschäftigung hat er unstreitig nicht ausgeübt. Ob er dazu die Möglichkeit hatte, spielt für den Anspruchsgrund keine Rolle. Di...

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