Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeld als einsetzbares Einkommen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Kann ein Elternteil neben der Betreuung des Kindes auch dessen Barbedarf ohne Gefährdung seines eigenen Unterhalts leisten, entfällt ausnahmsweise die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils, der über wesentlich geringere Einkünfte verfügt.

2. Während des Bezuges von Erziehungsgeld ist die eigentlich barunterhaltsverpflichtete Kindesmutter nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verpflichtet.

3. Das Erziehungsgeld ist vorrangig zur Deckung des eigenen notwendigen Selbstbehalts des Elternteils zu verwenden.

4. Eheliche und nichteheliche Mütter sind unterhaltsrechtlich weitgehend gleichzustellen mit der Folge, dass auch bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Partner eine Rollenwahl treffen können.

5. Die Rollenwahl der unterhaltsverpflichteten Mutter ist nur dann hinzunehmen, wenn ihr Interesse an der Aufgabenverteilung (Hausfrau und Mutter) in der neuen Beziehung ihr eigenes Interesse an der Unterhaltssicherung deutlich überwiegt.

6. Hält die unterhaltsverpflichtete Kindesmutter in der neuen Beziehung die eheprägende Rollenverteilung aufrecht, liegt kein echter Rollentausch vor, der zu einer Erwerbsobliegenheit führen könnte.

7. Eine Zurechnung fiktiver Einkünfte entfällt, wenn die Rollenwahl unterhaltsrechtlich hinzunehmen ist.

 

Normenkette

BGB §§ 1603, 1606 Abs. 3, § 1615l

 

Verfahrensgang

AG Bonn (Urteil vom 06.04.2006; Aktenzeichen 46 F 159/05)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 6.4.2006 verkündete Urteil des AG - FamG - Bonn - 46 F 159/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die zulässige - insb. frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das FamG der Abänderungsklage der Klägerin dahin stattgegeben, dass diese ab Rechtshängigkeit der Abänderungsklage (15.8.2005, Bl. 14 GA) keinen Kindesunterhalt mehr an die Beklagte zu zahlen hat.

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung greifen im Ergebnis nicht durch. Die Klägerin ist nämlich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie am 13.4.2005 ein weiteres Kind geboren hat und der Vater der Beklagten gem. § 1603 Abs. 1 BGB leistungsfähig ist, der Beklagten im Hinblick auf ihr, der Klägerin, eigenes Einkommen gem. § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB nicht mehr barunterhaltspflichtig.

Die Klägerin trifft keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit ggü. der minderjährigen Beklagten, obwohl diese beim Kindesvater lebt und von diesem betreut wird.

Die Verpflichtung gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB, zum Unterhalt minderjähriger unverheirateter Kinder auch Mittel zu verwenden, die der Elternteil für den eigenen angemessenen Unterhalt benötigen würde, tritt nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Das kann auch der andere Elternteil sein, sofern er gem. § 1603 Abs. 1 BGB leistungsfähig ist. Zwar erfüllt der Elternteil, der - wie hier der Vater der Beklagten - minderjährige Kinder betreut, durch deren Pflege und Erziehung seine Unterhaltspflicht regelmäßig in vollem Umfang (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), und er ist, wenn er über eigenes Einkommen verfügt, daneben grundsätzlich nicht zum Barunterhalt verpflichtet. Hat indessen der andere Elternteil nur wesentlich geringere Einkünfte, so dass seine Inanspruchnahme zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen würde, kann eine andere Regelung in Betracht kommen (so BGH v. 7.11.1990 - XII ZR 123/89, MDR 1991, 643 = FamRZ 1991, 182, m.w.N.). Unter diesem Gesichtspunkt entfällt vorliegend eine Unterhaltspflicht der Klägerin, da der Vater der Beklagten neben deren Pflege und Erziehung auch deren Barbedarf ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts tragen kann.

Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin nach der Geburt ihres weiteren Kindes keine Erwerbsobliegenheit trifft. Denn grundsätzlich trifft die Kindesmutter während des Bezuges von Erziehungsgeld keine Erwerbsobliegenheit. Das gilt auch gegenüber anderen gleichrangig unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindern aus einer früheren Verbindung dann, wenn die Rollenwahl in einer neuen Beziehung, in der die Mutter weit gehend Hausfrau ist und die Erziehung und Betreuung des Kindes übernommen hat, unterhaltsrechtlich hinzunehmen ist. Dabei ist in jedem Fall der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen zu wahren (vgl. BGH v. 12.4.2006 - XII ZR 31/04, BGHReport 2006, 1025 = MDR 2006, 1233 = FamRZ 2006, 1010).

Die Klägerin darf das von ihr bezogene Erziehungsgeld vorrangig zur Deckung ihres eigenen notwendigen Selbstbehaltes verwenden. Das Erziehungsgeld hat keine Lohnersatzfunktion, sondern wird auch an Eltern gezahlt, die zuvor nicht erwerbstätig waren. Somit dient es sozialpolitischen Zielen und soll zugleich einen finanziellen Anreiz für die Kindererziehung schaffen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, wie z.B. im Rahmen der gesteigerten Unterhal...

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