Leitsatz

Wohnungseigentümergemeinschaft ist nicht berechtigt, wegen erheblicher Wohngeldrückstände eines Teileigentümers die von ihm oder einem noch nicht im Grundbuch als Rechtsnachfolger eingetragenen Erwerber vermietete Einheit bis zum Ausgleich der Zahlungsrückstände von der Energieversorgung abzutrennen!

 

Normenkette

§ 273 BGB, § 858 BGB, § 862 BGB, § 869 BGB, § 823 Abs. 1 BGB

 

Kommentar

1. Zum Sachverhalt:

1.1 Eine vermietende Miteigentümerin (Teileigentümerin und wohl seinerzeit teilende Gesellschaft) schuldete der Gemeinschaft Wohngelder aus der Zeit 1995-1998 in Höhe von mehr als DM 100.000,-. 1994 hatte diese Teileigentümerin die bereits seit 1990 vermietete Gewerbeeinheit (Lebensmittelmarkt) an ihren seinerzeitigen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer verkauft, wobei (laut veröffentlichtem Sachverhalt) eine Eigentumsumschreibung im Grundbuch bisher noch nicht erfolgte. 1995 schloss der Erwerber einen Mietvertrags-Nachtrag mit einem Mietnachfolger ab unter Hinweis auf ihn erfolgten Eigentumsübergangs; 1998 überließ die Nachmietpartei die Gewerberäume einem Untermieter zur Nutzung als Lebensmittelmarkt. Nach Androhung der Versorgungsunterbrechung (1998) beschloss die Gemeinschaft in einer Eigentümerversammlung (Mitte 1999) die Unterbrechung der vermieteten Gewerbeeinheit von der Energieversorgung (Strom, Wasser und Gas) wegen der erheblichen rückständigen Wohngelder der Teileigentümerin; das AG Siegburg als Wohnungseigentumsgericht bestätigte die Gültigkeit dieses einstimmigen Eigentümerbeschlusses ( AG Siegburg, Beschluss vom 03.12.1999, 3 II 11/99).

1.2 Die Mietpartei des betroffenen Lebensmittelmarktes erwirkte allerdings gegen die Gemeinschaft eine einstweilige Verfügung ( LG Bonn, vom 26.08.1998, 3 O 346/98), durch die der Gemeinschaft untersagt wurde, die Versorgung der Gewerbeeinheit zu unterbinden. Auf Widerspruch bestätigte das LG mit Urteil vom 17.02.1999 diese einstweilige Verfügung; die hiergegen eingelegte Berufung der Gemeinschaft wies der Senat bereits mit Urteil vom 22.09.1999 zurück.

1.3 Im vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um die Hauptsache zum einstweiligen Verfügungsverfahren. Mit Urteil des LG vom 12. 5., berichtigt vom 23. 6.1999, wurde auf Klageantrag der Mietpartei die Gemeinschaft verurteilt, die Energietrennung zu unterlassen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob der Erwerber der Einheit nicht oder noch nicht Eigentümer gewesen bzw. geworden sei.

Das OLG Köln als Berufungsgericht gab dem Mieter endgültig Recht und verneinte Gegenrechte der Gemeinschaft auf Unterbrechung der Energieversorgung.

2. Aus den Gründen der Senatsentscheidung:

2.1 Der Mieter (bzw. Nach- oder Untermieter) als unmittelbarer Besitzer der im EG gelegenen Teileigentumseinheit besitzt einen Anspruch auf Unterlassung einer Besitzstörung gem. §§ 862, 858 BGB; dieses Recht kann auch ein mittelbarer Besitzer (z.B. Unter-Vermieter) gem. §§ 869, 862, 858 BGB geltend machen.

Eine Besitzstörung ist jede Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzes im Genuss eines solchen Besitzes in der Weise, dass ein befriedeter Zustand in einen solchen der Rechtsunsicherheit verwandelt wird. Durch die angedrohte Unterbrechung der Zufuhr von Wasser, Strom und Gas wird hinsichtlich des angemieteten Ladenlokals in die Sachherrschaft des unmittelbaren Besitzers eingegriffen; dieser kann ohne die ungehinderte Belieferung mit Energie sein Lebensmittelgeschäft nicht weiter ungestört betreiben. Diese Störung ist als verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB zu werten; verbotene Eigenmacht ist jede gesetzlich nicht besonders gestattete Handhabung, die den unmittelbaren Besitzer ohne seinen Willen in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt beeinträchtigt; hierbei kann die Befugnis, in einen fremden Rechtskreis und insbesondere in den Besitzstand eines anderen einzugreifen, öffentlich-rechtlicher oder bürgerlich- rechtlicher Art sein.

Die Gemeinschaft besitzt hier auch kein Selbsthilferecht analog § 229 BGB, um ihrem Vorgehen die Widerrechtlichkeit zu nehmen; ein solches Recht gewährt das Gesetz nur in bestimmten Ausnahmefällen, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben, da es der Wohnungseigentümergemeinschaft letztlich nur um die Durchsetzung eines fälligen Anspruchs auf Zahlung rückständiger Wohngelder geht; ein solcher muss im Klage- bzw. Vollstreckungswege gegen den Schuldner verfolgt werden.

2.2 Auch die bisherigen Entscheidungen des Wohnungseigentumsgerichts zur Berechtigung der Energieversorgungs-Unterbrechung führen zu keiner anderen Beurteilung; es ist schon fraglich, ob die Gemeinschaft im Verhältnis zum Mieter berechtigt wäre, auf der Grundlage eines Zurückbehaltungsrechts wegen rückständiger Wohngeldzahlungen die weitere Energiezufuhr zu unterbrechen; sie darf hierbei jedenfalls nicht in die ungestörte Besitzausübung eines Dritten eingreifen. Dies gilt auch im Hinblick auf eine vertretene Literatur- und Rechtsprechungsmeinung, dass das Unterbrechen der Ver...

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