Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz bei Gefälligkeit in Nachbarschaftshilfe; keine Gefährdungshaftung bei Stromunfall auf befriedetem Grundstück

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fehler bei unentgeltlicher Nachbarschaftshilfe können Haftungsansprüche Dritter auslösen, sofern sie in den Schutzbereich der Absprachen zwischen den Nachbarn einbezogen sind (hier: Nachbarschaftshelfer montiert eine Außenlampe und erkennt nicht, dass deren Gehäuse wegen einer Strombrücke zwischen Phase und Schutzleiter unter Strom steht, wodurch ein Bauarbeiter einen Stromschlag mit hypoxischem Hirnschaden erleidet)

2. Ein stillschweigender Haftungsverzicht bei unentgeltlicher Nachbarschaftshilfe kann nicht angenommen werden, wenn die zu erledigenden Arbeiten gefahrenträchtig sind und der Nachbarschaftshelfer wegen des Schadenereignisses haftpflichtversichert ist.

3. Anlageninhaber i.S.v. § 2 HpflG ist nicht zwingend der Eigentümer des Gebäudes, dessen Elektroanlage einen schadenstiftenden Fehler aufweist. Zur Reichweite der Ausschlusstatbestände des § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 HpflG.

4. Zur Frage, ob eine Änderung der DIN- oder VDE- Vorschriften den Hauseigentümer verpflichtet, die Elektroinstallation den neuen Vorschriften anzupassen.

 

Normenkette

BGB §§ 241-242, 276, 278, 280, 309 Nr. 7, §§ 311, 328, 618-619, 823, 831, 836; HPflG § 2; AHB §§ 1, 4

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 16.02.2012; Aktenzeichen 1 O 350/11)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.11.2016; Aktenzeichen III ZR 139/14)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 16.2.2012 unter Zurückweisung des weiter greifenden Rechtsmittels teilweise mit dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben, soweit es den Beklagten Leo B. betrifft, und insgesamt wie folgt neu gefasst:

a. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit der Kläger von dem Beklagten Leo B. materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen des vom Kläger am 16.9.2009 auf dem Grundstück Z - Gasse 6 in W. erlittenen Stromschlags sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten beansprucht.

b. Es wird festgestellt, dass der Beklagte Leo B. verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren infolge des Unfalls vom 16.9.2009 auf dem Grundstück Z - Gasse 6 in W. entstandenen und künftig entstehenden immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche auf materiellen Schadensersatz nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

c. Zur Verhandlung über den Betrag der Zahlungsansprüche gegen den Beklagten Leo B. (a.) wird die Sache an das LG Koblenz zurückverwiesen, das auch über die gerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sowie die im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten Leo B. entstandenen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu entscheiden hat.

d. Die Klage gegen den Beklagten Erwin R. bleibt abgewiesen.

2. Der Kläger hat die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten Erwin R. nach einem Streitwert von 1.227.154,27 EUR zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern der Beklagte Erwin R. nicht vor der Vollstreckung eine entsprechende Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.1. Der zum Unfallzeitpunkt 46 - jährige Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Stromschlags in Anspruch, dem er am 16.9.2009 ausgesetzt war, als er in Vorbereitung von Fassadenarbeiten auf einem Metallgerüst stehend gegen das stromführende metallene Gehäuse einer Außenlampe stieß, die Anfang 2009 vom Zweitbeklagten neben der Eingangstür zum Erdgeschoss des Hauses Z - Gasse 6 in W. angebracht worden war. Das Erdgeschoss bewohnt seit 2008 die Zeugin Yvonne R. als Mieterin. Dinglich Nutzungsberechtigte und Vermieterin der Erdgeschosswohnung ist Frau Anna Elisabeth R., die wegen desselben Schadensereignisses in einem ebenfalls beim Senat anhängigen Verfahren auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird (5 U 1024/13).

Das Doppelhaus Z - Gasse 4/6 steht im Eigentum des Erstbeklagten, der im Obergeschoss Z - Gasse 6 wohnt. Der Erstbeklagte war Auftraggeber der Fassadenarbeiten.

Der Zweitbeklagte, nach eigenem (bestrittenen) Vorbringen 40 Jahre im Elektro- handwerk berufserfahren, hatte Anfang 2009 die Außenlampe neben der Eingangstür zum Haus Nr. 6 auf Bitten der dinglich nutzungsberechtigten Vermieterin Anna Elisabeth R., die selbst im Erdgeschoss der anderen Doppelhaushälfte (Z - Gasse 4) wohnt, in Nachbarschaftshilfe montiert und dabei auch die Verkabelung der alten Lampe bis hin zur nächsten Unterverteilung erneuert.

Der Stromschlag führte zu einem hypoxischen Hirnschaden; der Kläger ist seither zu 100 % behindert und umfassend pflegebedürftig. Verursacht wurde der Stromschlag durch einen im Inneren des Gebäudes in die Wand geschlagenen Metallnagel, der - noch vor der Unterverteilung, hinter der das neue Kabel verle...

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