Leitsatz (amtlich)

Ein zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ehe eingelegtes Rechtsmittel ist auch ohne formelle Beschwer des Rechtsmittelführers zulässig. Dieser muss jedoch das Ziel der Aufrechterhaltung der Ehe eindeutig und vorbehaltlos verfolgen. Ist Rechtsmittelführer der Antragsgegner eines Scheidungsantrags bedarf es auch einer materiellen Beschwer. Diese folgt nicht allein aus der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, sondern erfordert eine darzulegende Verletzung des materiellen (Scheidungs-)Rechts.

 

Normenkette

BGB § 1565 Abs. 1, § 1566 Abs. 2; FamFG § 59 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Mayen (Aktenzeichen 8c F 39/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Mayen vom 15.03.2022 wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 14.400 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen einen Scheidungsverbundbeschluss, mit welchem das Familiengericht die Ehe der Beteiligten geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt hat. Den auf Antrag des Antragstellers erfolgten Scheidungsausspruch hat das Familiengericht gemäß § 1566 Abs. 2 BGB mit der unwiderlegbaren Vermutung des Scheiterns der Ehe nach über zwanzigjährigem Getrenntleben der Eheleute begründet. Die im Scheidungstermin am 15.03.2022 nicht anwesende, jedoch anwaltlich vertretene Antragsgegnerin hatte dort keinen Antrag gestellt, jedoch durch ihren Rechtsanwalt mitteilen lassen, dass sie auch geschieden werden wolle. Zuvor hatte sie schriftsätzlich ausführen lassen, dass sie bereit sei, sich "der Scheidung anzuschließen, wenn die Scheidungsfolgen ebenfalls geregelt werden", und mit der Scheidung nur einverstanden zu sein, wenn ein ordnungsgemäßer Zugewinn durchgeführt werde. Einem in der Folgezeit am 11.03.2022 eingereichten und mit der Regelungsbedürftigkeit von Scheidungsfolgesachen begründeten Antrag der Antragsgegnerin auf Terminsverlegung hatte das Familiengericht nicht stattgegeben.

Mit ihrer am 23.03.2022 eingelegten und nach bis zum 17.06.2022 gewährter Fristverlängerung am 08.06.2022 begründeten Beschwerde gegen den am 17.03.2022 zugestellten Beschluss begehrt die Antragsgegnerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nebst Zurückweisung des Scheidungsantrags des Antragstellers. Sie rügt einen Gehörsverstoß infolge nicht durchgeführter persönlicher Anhörung durch das Familiengericht. Insoweit sei das Scheidungsverfahren nicht entscheidungsreif gewesen. Allenfalls habe ein Versäumnisbeschluss ergehen dürfen. Vorliegend sei auch eine Beschwerdeberechtigung zu bejahen, weil die Antragsgegnerin nicht lediglich die unterlassene Anhörung angreife, sondern sich auch gegen die Scheidung als solche wende und die Aufrechterhaltung der Ehe begehre. Wieso dies der Fall sei, könne nur durch die Antragsgegnerin selbst erklärt werden. Ob es hier um Unterhaltsansprüche oder was auch immer gehe, sei eine völlig andere Frage und nicht von Bedeutung. Eine Rechtsbeeinträchtigung sei insofern möglich. Es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Insbesondere bestünden Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen für ein Scheitern der Ehe im Sinne von § 1565 BGB nicht vorlägen, wenn die Wiederherstellung gewünscht sei.

Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels unter Verteidigung der angefochtenen Entscheidung. Eine Gehörsverletzung liege nicht vor; die Trennungszeit von 24 Jahren sei unstreitig.

Ergänzend wird auf die schriftsätzlichen und mündlichen Äußerungen der Beteiligten verwiesen sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die gemäß § 58 FamFG statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde war gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO mangels Beschwerdeberechtigung der Antragsgegnerin als unzulässig zu verwerfen. Eines vorherigen Hinweises bedurfte es nicht, weil der Beschwerdeführerin die Zulässigkeitsproblematik ausweislich ihres Schriftsatzes vom 23.06.2022 bekannt ist.

Gemäß § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde grundsätzlich demjenigen zu, der durch den anzufechtenden Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

An einer formellen Beschwer der Antragsgegnerin fehlt es vorliegend, denn sie hat im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung durch ihren anwesenden Verfahrensbevollmächtigten die Zustimmung zur Scheidung erklärt. Dies steht einer formellen Beschwer entgegen (vgl. BGH FamRZ 2021, 213 - Tz. 12).

Zwar ist ein zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ehe eingelegtes Rechtsmittel auch ohne formelle Beschwer des Rechtsmittelführers zulässig. Aus dem Ausnahmecharakter dieses Grundsatzes folgt jedoch, dass der Rechtsmittelführer in diesem Fall das Ziel der Aufrechterhaltung der Ehe eindeutig und vorbehaltlos verfolgen muss (vgl. BGH FamRZ 2017, 1764 und FamRZ 2013, 1366). Zudem bedarf es auch in diesem Fall zumindest auf Antragsgegnerseite einer materiellen Beschwer. Hierfür genügt allein die Verletzung von Verfahrensrechten durch das erstinstanzliche Gericht nicht....

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