Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge bei Desinteresse eines Elternteils

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Können Eltern nach der Trennung eine gemeinsame Kommunikations- und Problemlösungsebene nicht aufbauen und ist dies – prognostisch – auch für die Zukunft nicht zu erwarten, ist die gemeinsame elterliche Sorge aufzulösen und demjenigen Elternteil zuzuweisen, bei dem das Wohl des Kindes am besten gewahrt zu werden verspricht.

2. Ein Vorrang der gemeinsamen Sorge vor der Alleinsorge eines Elternteils besteht ebensowenig wie eine gesetzliche Vermutung dafür, daß die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist.

3. Besteht eine offensichtliches Desinteresse des nicht betreuenden Elternteils an der gemeinsamen Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung, wird zur Wahrung des Kindeswohls im Regelfall die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf den betreuenden Elternteil in Betracht kommen, soweit nicht gegen dessen Alleinverantwortung gewichtige Umstände sprechen.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 1, 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Mainz (Beschluss vom 10.12.2003; Aktenzeichen 32 F 335/03)

 

Tenor

Die befristete Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG - FamG - Mainz vom 10.12.2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die nicht miteinander verheirateten Parteien begehren jeweils die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für das gemeinsame Kind A. (geb. 12.1.1998), für das sie eine gemeinsame Sorgeerklärung (v. 6.9.2001; Bl. 2 GA) abgegeben haben.

Das betroffenen Kind lebte zunächst, gemeinsam mit der älteren Halbschwester B., im Haushalt der Antragsgegnerin; der Umgang mit dem Antragsteller, der seit 1999 als selbständiger Taxiunternehmer tätig ist, wurde entsprechend einer bei der weiteren Beteiligten getroffenen Vereinbarung gehandhabt. Am 31.8.2003 brachte der Antragsteller A. nicht mehr zur Antragsgegnerin zurück; das Kind lebt seither beim Antragsteller und wird dort - während der berufsbedingten Abwesenheit des Antragstellers - von der Großmutter betreut. Der Antragsteller hat zwischenzeitlich geheiratet, lebt aber seit Februar 2004 von seiner Ehefrau getrennt. Im März 2004 haben die Parteien einen betreuten Umgangskontakt vereinbart, der bislang auch umgesetzt wird.

Der Antragsteller hat geltend gemacht, dass die Antragsgegnerin, die "Partys bis weit in die Nacht feiere" und Drogen im Beisein des Kindes einnehme, sich nicht richtig um A. kümmere; das Kind wolle nach eigener Bekundung nicht mehr zur Antragsgegnerin und auch nicht mehr in den dortigen Kindergarten zurückkehren.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat vorgebracht, dass es nicht dem Kindeswohl entspreche, A. von ihrem bisherigen Lebensumfeld zu trennen; der Antragsteller sei im Übrigen zu einer kindgerechten Betreuung gar nicht in der Lage.

Das AG, das die Parteien, die Vertreterin der weiteren Beteiligten und das betroffene Kind angehört hat (Bl. 26-29 GA), hat mit Beschluss vom 10.12.2003 (Bl. 30-32 GA) die elterliche Sorge dem Antragsteller allein übertragen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 9.1.2004 (Bl. 39/40 GA), mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge weiterverfolgt, hilfsweise eine Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts bei Verbleib des Aufenthaltsbestimmungsrechts beim Antragsteller begehrt.

Die Antragsgegnerin rügt im Hinblick auf den vom AG tragend berücksichtigten Willen des betroffenen Kindes mangelnde Sachaufklärung und Verletzung des rechtlichen Gehörs; der Antragsteller, der "in rechtswidriger Weise Fakten geschaffen" habe und der nach seinem Lebenslauf zu einer verantwortungsvollen Kindesbetreuung schon nicht fähig sei, halte sie - die Antragsgegnerin - zwischenzeitlich von jedem Kontakt fern und jage dem Kind systematisch Angst vor ihr und ihrem Umfeld ein. Dem Kindeswohl sei am besten im Haushalt der Mutter gedient.

Der Antragsteller verteidigt die angefochtene Entscheidung und hebt hervor, dass der ausdrückliche Wunsch des betroffenen Kindes zu respektieren sei; das Umgangsrecht der Antragsgegnerin sei fraglos sehr wichtig, doch müsse er A. vor der Antragsgegnerin' die dem "Okkultismus und Satanismus" nahe stehe, schützen. Die Antragsgegnerin sei zu kooperativem Verhalten nicht fähig und boykottiere jede Entscheidung zum Wohle des Kindes. Ein gemeinsames Sorgerecht komme nicht mehr in Betracht, da er in der Lage sein müsse, Entscheidungen hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge für A. zu treffen (Zahnarzt, Augenarzt, Impfungen, U-Untersuchungen), die von der Antragsgegnerin zuvor in erheblichem Umfang vernachlässigt worden sei.

Der Senat hat eine Stellungnahme des Jugendamtes (v. 25.3.2004; Bl. 83/84 GA) eingeholt und den Antragsteller sowie das betroffene Kind angehört (Bl. 106/107 GA). Die Antragsgegner...

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