Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der "genügenden Entschuldigung" in § 329 Abs. 1 StPO. Fehlerhafte Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags bei Verteidigerverhinderung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. a) Der Begriff "genügende Entschuldigung" in § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO darf nicht eng ausgelegt werden.

b) Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann.

2. a) Nach § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO kann sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers seiner Wahl bedienen, und zwar unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 140 StPO vorliegen. Dieses aus der Verfassung abgeleitete Recht sichert seinen Anspruch auf ein faires Verfahren.

b) Zwar bestimmt § 228 Abs. 2 StPO für den Fall der nicht notwendigen Verteidigung, dass die Verhinderung des Verteidigers dem Angeklagten keinen Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung gibt. Rechtsstaatliche Prinzipien setzen der Anwendung dieser Vorschrift jedoch Grenzen.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 27.11.2008; Aktenzeichen 2040 Js 80552/07 7 Ns)

 

Tenor

Auf Revision des Angeklagten werden das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 27. November 2008 und das Urteil des Amtsgerichts Mayen vom 9. April 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Mayen vom 22. Februar 2008 und über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Mayen zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Die Revision des Angeklagten richtet sich gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27. November 2008, mit dem seine Berufung gegen das gemäß § 412 StPO ergangene Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Mayen vom 9. April 2008 als unbegründet verworfen wurde.

Zu entscheiden ist über folgenden Sachverhalt:

Mit Strafbefehl des Amtsgericht Mayen vom 22. Februar 2008 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, am 29. Oktober 2007 durch die fahrlässige Verursachung eines Verkehrsunfalls drei Menschen teils schwer verletzt zu haben (wobei dem Strafbefehl nicht zu entnehmen ist, warum der Unfall für den Angeklagten "vorhersehbar und bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt vermeidbar" gewesen sein soll).

Bereits am 7. November 2007 hatte der Angeklagte Rechtsanwalt Dr. F... mit seiner Verteidigung beauftragt. Der Verteidiger gehört zwar einer Kanzlei mit zahlreichen Rechtsanwälten an; die Vollmacht (Bl. 24 d.A.) ist jedoch auf ihn allein beschränkt. Mit Schriftsatz vom 8. Januar 2008 an die Staatsanwaltschaft hatte er die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO beantragt.

Nachdem der Angeklagte gegen den Strafbefehl form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, bestimmte das Amtsgericht - ohne vorherige Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger - Hauptverhandlungstermin auf den 9. April 2008, 11:30 Uhr.

Die dem Angeklagten ordnungsgemäß zugestellte Ladung ging dem Verteidiger an 18. März 2008 zu. Dieser teilte mit Faxschreiben vom 19. März 2008 mit, er habe am 9. April 2008 einen schon seit längerem anberaumten Gerichtstermin vor dem Amtsgericht Hadamar wahrzunehmen; der Gerichtstermin "ist daher aufzuheben". Diese Eingabe blieb beim Amtsgericht Mayen mehr als zwei Wochen unbearbeitet liegen.

Die zuständige Richterin reagierte erst mit Schreiben vom 7. April 2008 an den Verteidiger:

"... bleibt der Hauptverhandlungstermin vorläufig bestehen.

a) Sie sind eine Anwaltskanzlei mit 23 Anwälten, sodass ich davon ausgehe, dass einer der Kollegen sicherlich den Termin wahrnehmen kann, insbesondere da es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handelt.

b) Es muss festgestellt werden, dass bisher in jedem Verfahren, das beim Amtsgericht - Strafrichter/Jugendrichter - in Mayen anhängig war, von Ihnen ein Antrag auf Aufhebung des anberaumten Termins gestellt wurde."

Mit Schreiben vom 8. April 2008 wies Rechtsanwalt Dr. F... darauf hin, dass er alleiniger Verteidiger sei und sich nicht teilen könne; die Behauptung, bisher seien in jedem Verfahren Verlegungsanträge gestellt worden, sei unrichtig; tatsächlich gestellte Anträge seien immer sachlich begründet gewesen. Zugleich lehnte er namens seines Mandanten die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Obwohl beim Amtsgericht Mayen bekannt sein musste, dass Rechtsanwalt Dr. F... entweder beim Amtsgericht Hadamar bzw. auf dem Weg dorthin oder auf dem Weg nach Mayen ist, wurde die dienstliche Erklärung der abgelehnten Richterin am 9. April 2008 um 10:27 Uhr mit einer Frist zur Stellungnahme bis 11:15 Uhr per Fax in die Kanzlei des - dort nicht anwesenden - Verteidigers übermit...

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