Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung einer US-amerikanischen Sammelklage im Wege internationaler Rechtshilfe

 

Normenkette

HZÜ Art. 1 Abs. 1, Art. 13; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGGVG § 23 Abs. 1, § 29 Abs. 1

 

Tenor

Die Sache wird gem. § 29 Abs. 1 S. 2 EGGVG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

 

Gründe

A. I. 1. Der Antragsgegner beabsichtigt die Zustellung einer auf Kartellrechtsverletzungen gestützten Sammelklage (class action) an die Antragstellerin im Wege der internationalen Rechtshilfe für das Bezirksgericht Minnesota (USA) aufgrund des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen - HZÜ - vom 15.11.1965 (BGBl. II 1977, 1453). Hiergegen richtet sich der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung.

Die Kläger und Repräsentanten (named plaintiffs) der Sammelklage (im Internet veröffentlicht unter http://front.mnseniors.org/druglawsuit/complaint051904. pdf), auf die sich das Zustellungsbegehren bezieht, wenden sich mit Unterlassungs-, Strafschadensersatz- und Bereicherungsansprüchen dagegen, dass eine Reihe von pharmazeutischen Unternehmen Einfluss auf den Import verschreibungspflichtiger Arzneimittel im kleinen Grenzverkehr aus Kanada in die Vereinigten Staaten nehmen, so dass dortige Bürger, die in Kanada einkaufen wollen, auf den teureren amerikanischen Arzneimittelmarkt zurückverwiesen werden. Als Kläger und Repräsentanten der betroffenen Gruppe treten E.I., H.H., J.H., die M.S.F. sowie der P.D.C. Nr. ... H. and W.F. im eigenen Namen und für alle noch unbekannten Personen in gleicher Lage auf. E.I., H.H., J.H. sind zugleich Mitglieder der M.S.F. mit Sitz in St. P. (M.). Diese ist ein Interessenverband, der sich dem Ziel widmet, seinen betagten Mitgliedern preisgünstige Gesundheitsfürsorge zu verschaffen, insb. verschreibungspflichtige Markenarzneimittel. Der P.D.C. Nr. ... H. and W.F. hat seinen Sitz in St. C. im US-Bundesstaat I. Er ist eine Vereinigung mit dem Ziel, Angestellten und ihren Angehörigen umfassende Gesundheitsfürsorge zu verschaffen. Er trägt die Kosten, die seinen Mitgliedern durch den Kauf von Markenarzneimitteln in den USA entstehen.

Die Beklagten der Sammelklage, die nach dem Klagebegehren als Gesamtschuldner verpflichtet werden sollen, sind Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, nämlich neben der Antragstellerin die P. Inc. mit Sitz in N.Y., die G.S.K.P. mit Sitz in B. (G.), die A.L. Inc. mit Sitz in A.P. (I.), die A.Z.P.P. mit Sitz in W. (D.), E.L. and Company mit Sitz in I. (I.), die M. & Co. Inc. mit Sitz in W.S. (N.J.), die N. AG mit Sitz in B. (S.) und die W.P. Inc. mit Sitz in C. (P.).

Die Antragstellerin ist die Komplementärgesellschaft der B.I. GmbH und Co. KG. Diese ist Teil einer Firmengruppe der pharmazeutischen Industrie mit Forschungs- und Produktionsstandorten in Deutschland, in der Schweiz sowie Vertriebsgesellschaften in Deutschland, der Schweiz, Kanada und den USA. Kerngeschäft der Firmengruppe ist das Erforschen, Entwickeln, Herstellen und Vertreiben von Arzneimitteln. Die Firmengruppe im Ganzen erzielte durch den Vertrieb pharmazeutischer Produkte im Jahre 2004 weltweit Erlöse von 8,16 Mrd. EUR.

Den Hintergrund der Sammelklage bildet das dominierende Thema der Gesundheitspolitik in den Vereinigten Staaten, das auch Gegenstand des Wahlkampfes zur Präsidentschaftswahl im Jahre 2004 gewesen ist. Das amerikanische Gesundheitssystem gehört zu den teuersten, aber hinsichtlich der sozialen Absicherung der Bürger zugleich zu den ineffektivsten der Welt. 44 Mio. Amerikaner hatten im Jahre 2003 zumindest zeitweise keine Krankenversicherung; eine noch größere Zahl gilt als unterversichert. Steigende Arzneimittelpreise sind ein wesentlicher Grund für die hohen Gesundheitskosten und die steigenden Versicherungsprämien in der Krankenversicherung. Als sekundäres Handelshemmnis wirkt es sich in den USA aus, dass sämtliche dort zugelassenen Medikamente bei Herstellern gefertigt worden sein müssen, welche von der Gesundheits- und Arzneimittelzulassungsbehörde (Food and Drug Administration) inspiziert wurden und deren Anforderungen entsprechen. Fast alle Industrieländer setzen - wenigstens mittelbar - Höchstpreise für pharmazeutische Produkte fest, auch Kanada. In den Vereinigten Staaten geschieht dies hingegen nicht, so dass verschreibungspflichtige Markenarzneimittel dort 20-80 % teurer sind als in Kanada. Die Vereinigten Statten verbieten grundsätzlich einen privaten Import von Arzneimitteln. Deshalb fordern sie auch die kanadischen Aufsichtsbehörden zum Vorgehen gegen solche Apotheken auf, die sich auf die grenzüberschreitende Versorgung im Versandhandel und im kleinen Grenzverkehr spezialisiert haben. Hinzu kommt, dass Arzneimittelhersteller Pläne geäußert haben, die Versorgung des kanadischen Marktes mit Arzneimitteln auf die Mengen zu beschränken, die mit dem Binnenverbrauch in Kanada erklärt werden kann. Organisationen, wie die M.S.F., fordern schon lange, dass die Regier...

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