Entscheidungsstichwort (Thema)

Gebühren bei selbständigem Beweisverfahren und Rechtsstreit in Übergangsfällen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das selbständige Beweisverfahren und ein späterer Rechtsstreit sind nach neuem Recht verschiedene Angelegenheiten i.S.v. § 15 RVG.

2. Ist ein selbständiges Beweisverfahren vor dem 1.7.2004 durchgeführt worden und schließt sich ein Rechtsstreit an, für den der Prozessauftrag nach dem 1.7.2004 erteilt wurde, richten sich die anwaltlichen Gebühren für das Beweisverfahren nach der BRAGO, im Übrigen jedoch nach dem RVG. Dabei ist die Verfahrensgebühr des Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs anzurechnen.

 

Normenkette

RVG §§ 15, 19, 61; RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 5; BRAGO §§ 13, 31, 37 Nr. 3, § 48

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 21.09.2005; Aktenzeichen 8 O 303/04)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Koblenz vom 21.9.2005 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Rechtsmittelführerin entschieden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die ergänzende Berechnung und Festsetzung des Weiteren Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin dem LG Koblenz übertragen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerde- verfahrens zu befinden hat.

3. Der Beschwerdewert beträgt 312,50 EUR (beantragte 2.050,54 EUR abzgl. festgesetzter 1.738,04 EUR).

 

Gründe

Die Klägerin leitete Anfang Februar 2004 ein selbständiges Beweisverfahren ein, das im Juli 2004 abgeschlossen wurde. Im September 2004 erhob sie wegen desselben Sachverhalts Klage, die erfolgreich war.

Die Festsetzung ihrer Kosten im selbständigen Beweisverfahren hat die Klägerin nach der BRAGO beantragt. Daneben bittet sie um Festsetzung der im Klageverfahren entstandenen Kosten nach dem RVG.

Der Rechtspfleger hat die anwaltlichen Gebühren einheitlich nach der BRAGO berechnet und festgesetzt und zur Begründung auf § 61 RVG verwiesen, wonach die BRAGO weiter anzuwenden ist, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem 1.7.2004 erteilt wurde.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde trägt die Klägerin vor, den Auftrag zur Klageerhebung habe sie erst nach dem Stichtag erteilt. Daher sei insoweit das RVG anzuwenden.

Der Rechtspfleger hat der Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung auf § 37 Nr. 3 BRAGO verwiesen, wonach das selbständige Beweisverfahren zum Rechtszug gehört. Damit sei der Prozessbevollmächtigte hier aufgrund eines vor dem Stichtag erteilten Auftrages in derselben Angelegenheit tätig gewesen.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

Die Gebühren sind hier teils nach der BRAGO (Beweisverfahren), im Übrigen (Klageverfahren) jedoch nach dem RVG festzusetzen. Der Ausgangspunkt des Rechtspflegers ist allerdings zutreffend. § 61 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt, dass die BRAGO weiter anzuwenden ist, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem 1.7.2004 erteilt wurde. Es muss sich indes nach dem Gesetzeswortlaut um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG handeln. Demnach wäre die Auffassung des Rechtspflegers nur dann zutreffend, wenn das selbständige Beweisverfahren und das spätere Klageverfahren dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG wären.

Nach altem Recht waren beide Verfahren dieselbe Angelegenheit, wenn - wie hier - Sach- und Parteiidentität bestand und die Voraussetzungen des § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO nicht vorlagen. Auch darin ist dem Rechtspfleger zu folgen.

Da § 61 Abs. 1 S. 1 RVG altes Recht jedoch nur dann für anwendbar erklärt, wenn dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG vorliegt, ist entscheidungserheblich, ob § 15 RVG eine vom bisherigen Rechtszustand abweichende Regelung enthält.

Das ist nach Auffassung des Senats zu bejahen. Was unter derselben Angelegenheit zu verstehen ist, kann dem Gesetz nicht unmittelbar entnommen werden. Es liegt jedoch nahe, alle anwaltlichen Tätigkeiten, die zum Rechtszug gehören (§ 19 RVG), begrifflich auch als dieselbe Angelegenheit anzusehen. Der Vergleich von § 19 RVG mit § 37 BRAGO ergibt indes, dass das selbständige Beweisverfahren im Tätigkeitskatalog des § 19 RVG nicht genannt ist.

Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass es sich dabei um ein gesetzgeberisches Versäumnis oder Versehen handelt. Eine Analogie kommt daher nicht in Betracht. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass der Gesetzgeber das Beweisverfahren ganz bewusst nicht mehr dem Rechtszug zugeordnet hat.

Letzte insoweit denkbare Zweifel werden durch die Vorbemerkung 3 Abs. 5 des Vergütungsverzeichnisses beseitigt. Dort ist bestimmt, dass "die Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs" anzurechnen ist. Diese Unterscheidung belegt, dass das selbständige Beweisverfahren nach dem RVG, anders als nach der BRAGO, nicht zum Rechtszug gehört.

Nach alledem begegnet die Ansicht des Rechtspflegers durchgreifenden Bedenken. Der Angelegenheitsbegriff der BRAGO ist nicht mehr maßgeblich, weil § 61 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt, dass es auf die Angelegenheit i.S.d. (neuen) § 15 RVG ankommt.

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