Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollstreckungsaufschub. Selbstmordgefahr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Von einem Täter, dessen Schuld rechtskräftig festgestellt ist, ist grundsätzlich zu erwarten, dass er sich den mit der strafrechtlichen Sanktion verbundenen negativen Folgen seiner Taten stellt.

2. Selbstmordgefahr ist grundsätzlich kein Grund, die Strafvollstreckung aufzuschieben.

3. Eine Gefahr für Leben und Gesundheit des Strafgefangenen droht vom Vollzug dann nicht, wenn dieser Mittel zur Abhilfe bereithält.

 

Normenkette

StPO § 455

 

Verfahrensgang

LG Trier (Entscheidung vom 05.02.2015; Aktenzeichen 8044 Js 14349/12 VRs)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Verurteilten gegen den Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 5. Februar 2015 in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 27. März 2015 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Verurteilten zur Last (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO).

 

Gründe

I.

Die Verurteilte hat eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten wegen schweren Bandendiebstahls in 13 Fällen und Wohnungseinbruchdiebstahls aus dem Urteil des Landgerichts Trier vom 2. Oktober 2013 in Verbindung mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs 3 StR 23/14 vom 18. Februar 2014 zu verbüßen. Die Vollstreckung wurde zunächst bis zum 11. August 2014 zur Behandlung der Folgen eines Unfalls (Abriss der Strecksehne der linken Hand) aufgeschoben.

Am 29. September 2014 wurde die Verurteilte nach einem Selbstmordversuch stationär im Krankenhaus W. aufgenommen. Mit Antrag vom 3. Oktober 2014 suchte sie erneut um Vollstreckungsaufschub nach; hierzu machte sie geltend, sie sei aufgrund einer reaktiven Depression und akuter Belastungsreaktion wegen des bevorstehenden Haftantritts suizidgefährdet und gerate sich in Lebensgefahr, wenn sie die Haftstrafe antreten müsse. Die Staatsanwaltschaft lehnte einen Strafaufschub mit Verfügung vom 9. Oktober 2014 ab; die hiergegen gerichteten Einwendungen der Verurteilten hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 5. Februar 2015, zugestellt am 11. Februar 2015 und berichtigt durch Beschluss vom 27. März 2015, zurückgewiesen. Mit ihrer am 18. Februar 2015 eingegangenen sofortigen Beschwerde verfolgt die Verurteilte ihr Begehren weiter.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere ist sie in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Die Strafkammer ist zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass wegen der Vollstreckung der Haftstrafe keine nahe Lebensgefahr für die Verurteilte zu besorgen ist (§ 455 Abs. 2 StPO); darüber hinaus hat sie ebenso zutreffend dargelegt, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, auch von einem Strafaufschub gemäß § 455 Abs. 3 StPO abzusehen, frei von Ermessensfehlern ist.

1.

Rechtsfehlerfrei ist die Ausgangsentscheidung durch den Rechtspfleger der Vollstreckungsbehörde getroffen worden (§ 31 Abs. 2 S. 1 RPflG). Ein Ausnahmefall der in § 31 Abs. 2a RPflG bezeichneten Art, der zwingend zur Vorlage an den Staatsanwalt hätte führen müssen, ist nicht gegeben.

2.

Die Voraussetzungen für einen Strafaufschub nach § 455 Abs. 2 StPO sind nicht gegeben.

Gemäß § 455 Abs. 1 StPO ist die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt; dasselbe gilt bei anderen Krankheiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist (§ 455 Abs. 2 StPO). Dabei sind an die Besorgnis einer nahen Lebensgefahr, die krankheitsbedingt im Fall einer Vollstreckung droht, strenge Anforderungen zu stellen und darüber hinaus muss die Vollstreckung der Freiheitsstrafe für diese Gefahr auch ursächlich sein (vgl. Graalmann-Scheerer in: LR-StPO, 26. Aufl., Bd. 9 § 455 Rn. 10; OLG Düsseldorf, 1 Ws 866/90 v. 16.10.1990 - NStZ 1991, 151).

Daran gemessen kommt ein Strafaufschub gemäß § 455 Abs. 1 oder 2 StPO vorliegend nicht in Betracht. Zwar ist die Verurteilte krank, denn sie leidet nach dem Gutachten des Gesundheitsamtes der Kreisverwaltung B. vom 9. Januar 2015 (Bl. 227 ff. d.A.) als Folge der in dieser Sache erlittenen Untersuchungshaft und angesichts der bevorstehenden Strafvollstreckung an einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Angst (ICD 10 F 43.2); darüber hinaus liegt bei ihr - unabhängig vom drohenden Strafvollzug - eine dependente (abhängige) asthenische Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F. 60.7) vor.

Bei diesen psychischen Erkrankungen handelt es sich nicht um Geisteskrankheiten im Sinne von § 455 Abs. 1 StPO. Der Begriff der Geisteskrankheit in § 455 Abs. 1 StPO ist zwar nicht in dem engen Sinn einer hirnorganisch oder organischen Erkrankung zu verstehen, wie er etwa dem Krankheitsbegriff des § 20 StGB zugrunde liegt (vgl. KK-Appl, 7. Aufl. § 455 Rn. 6a). Entscheidend für die Anwendung von § 455 Abs. 1 StPO ist vielmehr, dass die psychische Erkrankung einen solchen Grad erreicht haben muss, dass der ...

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