Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweiserhebung unter Ausschluss des Verursachers von Industrielärm

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist nicht auszuschließen, dass ein Störer das Beweisergebnis zu seinen Gunsten beeinflusst, darf das Gericht einen Sachverständigen ermächtigen, örtliche Feststellungen ohne vorherige Benachrichtigung des Störers zu treffen.

2. Zur Frage, welches weitere Vorgehen in einem derartigen Fall zur Wahrung der Verfahrensrechte des Störers geboten ist.

3. § 247 StPO ist im Zivilprozess nicht entsprechend anwendbar.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 14, 103 Abs. 1; BGB §§ 242, 858, 903, 906, 1004; ZPO §§ 357, 402, 404, 404a, 407, 407a, 490; StPO § 247

 

Verfahrensgang

LG Trier (Beschluss vom 27.01.2011; Aktenzeichen 5 OH 14/10)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Trier vom 27.1.2011 wird verworfen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Den Beschwerdewert bemisst der Senat auf bis zu 300 EUR.

 

Gründe

Die Parteien sind Nachbarn. Die Antragstellerin fühlt sich durch Lärm beeinträchtigt, der vom Industriebetrieb der Antragsgegnerin ausgeht. Eine vom LG angeordnete erste Lärmmessung des gerichtlichen Sachverständigen ist für die Antragstellerin enttäuschend verlaufen. Sie behauptet, die vorab über den Zeitpunkt der Messungen informierte Antragsgegnerin habe den Lärmpegel zielgerichtet derart eingeschränkt, dass die Messung nicht das Ausmaß der gewöhnlich zu verzeichnenden Störungen widerspiegele. Daraufhin hat das LG erneute Messungen "unter Ausschluss der Parteien" angeordnet. Gemeint ist ersichtlich, dass der Sachverständige davon absehen soll, den Parteien vorab Tag und Uhrzeit seiner örtlichen Feststellungen mitzuteilen.

Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie sieht § 357 ZPO verletzt. Auch habe das LG zu Unrecht § 247 StPO bemüht. Wegen einer völlig haltlosen Verdächtigung seitens der Antragstellerin beschneide das Gericht ohne Ermächtigungsgrundlage die Verfahrensrechte der Antragsgegnerin.

Damit dringt das Rechtsmittel nicht durch; es ist bereits unzulässig. Der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde steht § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die dem Beweissicherungsantrag stattgebende Entscheidung nicht anfechtbar.

Der denkbare Einwand, darum gehe es hier nicht, weil die Antragsgegnerin sich nicht gegen die bereits Monate zuvor angeordnete Beweiserhebung wende, sondern nur gegen die Art und Weise, wie der Sachverständige die maßgeblichen Anknüpfungstatsachen feststellen soll, trägt nicht. Welche Rechte der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren hat, ist weithin geklärt. Er kann beispielsweise einen eigenen Gegenantrag stellen (vgl. Zöller - Herget, ZPO, 28. Aufl., Rz. 3 zu § 485 ZPO m.w.N.) oder Gegenbeweis antreten (Zöller - Herget, a.a.O., Rz. 4 zu § 487 ZPO). Die dem Antragstellerbegehren stattgebende Beweisanordnung muss er hingegen hinnehmen, und zwar auch soweit es um deren inhaltliche Gestaltung geht. Die Rüge, die Art der Durchführung der Beweiserhebung verletze die verfassungsmäßig garantierten Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 LV Rheinland - Pfalz, führt trotz der herausragenden Bedeutung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht zur Zulässigkeit eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Rechtsmittels gegen eine bloße Zwischenentscheidung des Gerichts. Die berechtigten Belange des Antragsgegners sind nämlich letztlich dadurch hinreichend gewahrt, dass elementare Verfahrensverstöße das Beweisergebnis unverwertbar machen können.

Die sofortige Beschwerde ist nach alledem unzulässig. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt bei Feststellungen und Untersuchungen eines Sachverständigen im Arzthaftungsprozess, wenn die zu untersuchende Person mit Blickrichtung auf Art. 1 Abs. 1 GG einer vom Gericht gebilligten Anwesenheit des beklagten Arztes widerspricht, betrifft eine andere Verfahrenssituation als die hier entscheidungserhebliche (vgl. zum Arzthaftungsprozess OLG München NJW-RR 1991, 896 und OLG Köln NJW 1992, 1568).

Trotz der Unzulässigkeit des Rechtsmittels erfordern die Rügen der Antragsgegnerin wegen der weiterhin gebotenen Leitung der Sachverständigentätigkeit durch das LG (§ 404a Abs. 4 und 5 ZPO) folgende Hinweise:

Die Anordnung der Einzelrichterin, Messungen ohne vorherige Mitteilung des Untersuchungstermins durchzuführen, begegnet im Ergebnis keinen Bedenken.

Zu Recht wendet sich die Beschwerde allerdings gegen die analoge Anwendung von § 247 StPO. Nach Sätzen 1 und 2 der Vorschrift kann das Gericht im Strafprozess unter bestimmten Voraussetzungen anordnen, dass sich der Angeklagte während der Vernehmung eines Mitangeklagten oder Zeugen aus dem Sitzungszimmer entfernt. Nach Auffassung des Senats weist die ZPO keine Regelungslücke auf, die es erfordert und gestattet, auf eine derart verfahrensfremde Ausnahmevorschrift zurückzugreifen. Im Übrigen sind die konkreten Verfahrenssituationen aber auch nicht vergleichbar. § 247 StPO betri...

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