Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in Arzthaftungssachen ist ein selbstständiges Beweisverfahren zulässig (gegen OLG Köln v. 21.8.1997 – 5 W 57/97, MDR 1998, 224 (Anm.) = OLGR Köln 1997, 333; OLG Nürnberg v. 13.11.1996 – 1 W 3034/96, MDR 1997, 501).

 

Normenkette

ZPO § 485

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Aktenzeichen 4 OH 17/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Mainz vom 12.11.2001 aufgehoben:

Die Sache wird zu neuer Entscheidung – auch über die aussergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das LG Mainz zurückverwiesen.

Das LG wird angewiesen, den Antrag auf Beweissicherung nicht aus den Gründen des Beschlusses vom 12.11.2001 abzulehnen.

 

Gründe

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens (§ 485 ZPO) in Arzthaftungssachen. Dem liegt nach dem Vorbringen des Antragstellers folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 7.4.1999 suchte er wegen Herzbeschwerden den ärztlichen Notdienst auf. Der Notarzt diagnostizierte eine Speise- röhrenentzündung und entließ den Antragsteller in die hausärztliche Weiterbehandlung. Am 24.4.2000 erlitt der Antragsteller einen Hinterwandinfarkt, der alsbald zu einem apallischen Syndrom führte. Der Antragsteller ist seitdem nicht mehr in der Lage, seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen; er steht unter Betreuung. Mit seinem Antrag auf Beweissicherung erstrebt er die Klärung, ob er zwischen dem 7.4.1999 und dem 24.4.2000 fehlerhaft behandelt worden ist.

Einer entsprechenden Rüge des Antragsgegners folgend hat das LG den Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens als unzulässig abgelehnt und zur Begründung auf die Entscheidungen der OLG Köln (OLG Köln v. 21.8.1997 – 5 W 57/97, MDR 1998, 224 (Anm.) = OLGR Köln 1997, 333) und Nürnberg (OLG Nürnberg v. 13.11.1996 – 1 W 3034/96, MDR 1997, 501) verwiesen.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hat.

Das zulässige Rechtsmittel hat einen vorläufigen Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das LG (§§ 575, 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Denn die Abweisung des Beweissicherungsantrags als unzulässig begegnet durchgreifenden Bedenken.

Die Frage, ob bei fehlender Zustimmung des Gegners (§ 485 Abs. 1 erste Alternative ZPO) in Arzthaftungssachen ein selbstständiges Beweisverfahren zulässig ist (§ 485 Abs. 1 zweite Alternative und Abs. 2 ZPO) wird allerdings in Rechtsprechung (bejahend: OLG Saarbrücken v. 13.5.1999 – 1 W 125/99–16, NJW 2000, 3439 L = MDR 1999, 496 = VersR 2000, 891; OLG Düsseldorf v. 12.1.2000 – 8 W 53/99, NJW 2000, 3438, OLGR Düsseldorf 2001,145; OLG Karlsruhe VersR 1999, 887; OLG Düsseldorf v. 30.7.1998 – 8 W 16/98, MDR 1998, 1241 = OLGR Düsseldorf 1998, 434; OLG Stuttgart v. 6.10.1998 – 14 W 7/98, NJW 1999, 874 = MDR 1999, 482 = VersR 1999, 1018 L = OLGR Stuttgart 1999, 62; OLG Düsseldorf v. 18.9.1995 – 8 W 23/95, MedR 1996, 132; OLG Schleswig v. 19.12.2000 – 16 W 292/00, OLGR Schleswig 2001, 279f; verneinend: OLG Nürnberg v. 13.11.1996 – 1 W 3034/96, MDR 1997, 501; OLG Köln v. 21.8.1997 – 5 W 57/97, MDR 1998, 224 (mit Anm. Rehborn MDR 1998, 16) = OLGR Köln 1997, 333 und Literatur (vgl. Mohr, MedR 1996, 454; Rinke/Balser, MedR 1999, 398; Schinnenburg, MedR 2000, 185 [187]) kontrovers diskutiert.

Anders als das LG, das der Rechtsprechung der OLG Nürnberg und Köln gefolgt ist, hält der erkennende Senat die Rechtsansicht, nach der ein selbstständiges Beweisverfahren in Arzthaftungssachen bei fehlender Zustimmung des Gegners grundsätzlich unzulässig ist, nicht für zutreffend.

Nach § 485 Abs. 1 ZPO (zweite Alternative) ist bei fehlender Zustimmung des Gegners gleichwohl neben der Vernehmung von Zeugen die Begutachtung durch einen Sachverständigen statthaft, wenn zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen kennt das Gesetz nicht. Vor diesem Hintergrund kann sich nach Auffassung des Senats die Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen unter Umständen bereits aus § 485 Abs. 1 ZPO ergeben:

Schlagen die Bemühungen eines Zahnarztes bei der zahnprothetischen Versorgung eines Patienten fehl, wird dieser häufig aus billigenswerten Gründen bemüht sein, den beanstandeten Zahnersatz alsbald entfernen und anderweitig ersetzen zu lassen. In einem derartigen Fall kann eine Beweissicherung nach § 485 Abs. 1 zweite Alternative ZPO in Betracht kommen.

Zu denken ist außerdem an einen lebensbedrohlichen Zustand des Patienten oder eines Zeugen, der zum alsbaldigen Tod und damit auch zum endgültigen Verlust der Möglichkeit führen kann, mit stärkerer Beweiskraft den noch lebenden Patienten zu untersuchen oder den Zeugen persönlich zu befragen.

Der Frage, ob die Beweissicherung im vorliegenden Fall wegen des Gesundheitszustandes des Klägers nach § 485 Abs. 1 ZPO statthaft is...

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