Leitsatz (amtlich)

1. Solange die dem Mann bekannten Indizien nur die Möglichkeit beziehungsweise den Verdacht eines Treubruchs der Frau in der Empfängniszeit begründen, genügt dies allein gerade noch nicht, um im Hinblick auf § 1600b Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BGB von sicherer Kenntnis von Umständen zu sprechen, die die Vaterschaft ernstlich in Frage stellen.

2. Eine fahrlässige Unkenntnis ist der Kenntnis im Rahmen von § 1600b Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BGB nicht gleichzusetzen, sodann diesbezüglich auch keine Nachforschungspflicht des Anfechtungsberechtigten besteht.

 

Normenkette

BGB § 1600b Abs. 1 S. 2 Hs. 1; FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Bitburg (Beschluss vom 23.03.2022; Aktenzeichen 2b F 67/22)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bitburg vom 23. März 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gerichteten Antrag des Antragstellers vom 7. Februar 2022 an das vorbezeichnete Amtsgericht - Familiengericht - zurückverwiesen.

 

Gründe

Die nach §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde, mit welcher sich der Antragsteller gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für seinen Vaterschaftsanfechtungsantrag vom 7. Februar 2022 wendet, hat einen vorläufigen Erfolg.

Das Familiengericht hat die insoweit beantragte Verfahrenskostenhilfe ausschließlich wegen fehlender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt. Es hat diesbezüglich ausgeführt, die Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 Satz 2 BGB sei abgelaufen. Denn der Antragsteller habe nach eigenen Angaben schon im Jahre 2007 von Herrn [...] erfahren, dass dieser in der hier maßgeblichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit der Antragsgegnerin gehabt habe. Dass die Antragsgegnerin jeden Mehrverkehr in Abrede gestellt habe, ändere am Lauf der Anfechtungsfrist nichts. Den Antragsteller habe insoweit nämlich eine Nachforschungspflicht getroffen.

Diesen Ausführungen vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dem hier maßgeblichen Antrag des Antragstellers kann eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit der vorstehend wiedergegebenen Begründung nicht abgesprochen werden.

Nach § 1600b Abs. 1 Satz 1 BGB kann die Vaterschaft nur binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Diese Frist beginnt gemäß § 1600b Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Zu unterscheiden ist insoweit zwischen der Kenntnis von der anderweitigen Abstammung des Kindes, die nicht erforderlich ist, und der geforderten Kenntnis der hierfür sprechenden Umstände (vgl. BGH, NJW 1978, 1629, 1630; Staudinger-Rauscher, BGB, Neubearb. 2011, § 1600b, Rdnr. 17). Für den Beginn der Anfechtungsfrist bedarf es der sicheren Kenntnis von Tatsachen, die auf Grund objektiver Beurteilung aus der Sicht eines verständigen Betrachters ernsthafte Zweifel an der Vaterschaft begründen (vgl. BGH, a.a.O.; MünchKomm-Wellenhofer, BGB, 8. Aufl. 2020, § 1600b, Rdnr. 12 f., m.w.N.). Auch insoweit ist zu differenzieren, nämlich zwischen der sicheren Kenntnis der relevanten Tatsachen einerseits und den damit verbundenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine mögliche andere Vaterschaft andererseits (vgl. OLG Rostock, FamRZ 2004, 479; MünchKomm-Wellenhofer, a.a.O.).

Im hier maßgeblichen Zusammenhang kommt es allein darauf an, dass der Anfechtungsberechtigte Kenntnis von Tatsachen hat, aus denen sich - aus der objektiven Sicht eines verständigen Betrachters (vgl. BGH, FamRZ 1990, 507, 509, m.w.N.; OLG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2006 - 7 UF 457/05 -, juris, Rdnr. 9, m.w.N.; Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann- Reuß, beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 1. Mai 2022, § 1600b BGB, Rdnr. 42, m.w.N.; Staudinger-Rauscher, BGB, Neubearb. 2011, § 1600b, Rdnr. 18, m.w.N.) - die nicht ganz fernliegende Möglichkeit einer Abstammung von einem anderen Mann ergibt (vgl. BGH, NJW 1978, 1629, 1630; OLG Koblenz, a.a.O.; OLG Brandenburg, Urteil vom 23. Oktober 2003 - 15 UF 33/03 -, juris, Rdnr. 23; Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann-Reuß, a.a.O., Rdnr. 12, m.w.N.; Staudinger-Rauscher, a.a.O., Rdnr. 17, m.w.N.). Hinsichtlich dieser Umstände muss Gewissheit, nicht lediglich ein Verdacht bestehen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 12. August 1996 - 10 W 769/96 -, BeckRS 2009, 4697; BeckOK Hau/Poseck-Hahn, BGB, 62. Edition, Stand: 1. Mai 2022, § 1600b, Rdnr. 3; Staudinger-Rauscher, a.a.O., Rdnr. 21, m.w.N.). Der Anfechtungsberechtigte muss die maßgeblichen Umstände zweifelsfrei gekannt und die ihm zur Kenntnis gelangten Tatsachen auch für wahr gehalten haben (vgl. MünchKomm-Wellenhofer, BGB, 8. Aufl. 2020, § 1600b, Rdnr. 13; Staudinger-Rauscher, a.a.O.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat die dem Antragsteller im Jahre 2007 gegenüber getätigte Äußerung des Herrn [...], dieser habe in der...

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