Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindschaftssache: Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers im Sorgerechtsverfahren. Vorrangige Prüfung der Bestellung eines Verfahrensbeistandes

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beteiligtenstellung Minderjähriger in Kindschaftssachen (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) führt nicht pauschal zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers in Sorgerechtsverfahren. Vorrangig ist zu prüfen, ob die Bestellung eines Verfahrensbeistands in Betracht kommt, auch wenn dieser nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist (Anschluss an OLG Stuttgart FamRZ 2010, 1166, gegen OLG Oldenburg FamRZ 2010, 660).

 

Normenkette

FamFG § 7 Abs. 2 Nr. 1, § 158 Abs. 2 Nr. 2; BGB § 1629 Abs. 2, § 1796

 

Verfahrensgang

AG Diez (Beschluss vom 16.04.2010; Aktenzeichen 6 F 65/10)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Diez vom 16.4.2010 aufgehoben.

II. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III. Der Beschwerdewert wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

IV. Der Antragsgegnerin wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt H., K., bewilligt.

V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

Im vorliegenden Verfahren streiten die Eltern - ursprünglich im Rahmen einer einstweiligen Anordnung, später im Rahmen eines verbundenen Verfahrens nach § 1666 BGB - über die elterliche Sorge bezüglich ihrer drei gemeinsamen Kinder. Mit Beschluss vom 16.4.2010 hat das AG im einstweiligen Anordnungsverfahren ohne Anhörung der Beteiligten Ergänzungspflegschaft bezüglich des Kindes Q., geb. am ... 2001, angeordnet und dabei das an sich dem Rechtspfleger übertragene Verfahren (§§ 3 Nr. 2a, 14 RPflG) nach § 6 RPflG an sich gezogen. Mit Beschluss vom 23.4.2010 hat es die Ergänzungspflegschaft auf das mit demselben Beschluss hinzuverbundene Verfahren nach § 1666 BGB erstreckt. Soweit ersichtlich ist allerdings bisher keine förmliche Bestellung des Pflegers nach §§ 1909, 1915, 1789 BGB erfolgt. Nachdem die Kinder am 12.4.2010 wegen des Streits der Eltern durch das Jugendamt in Obhut genommen worden waren, lebt Q. seit dem 7.5.2010 aufgrund einer Einigung der Eltern bereits wieder im Haushalt des Vaters. Der Streit geht nur noch darum, ob es bei der gemeinsamen Sorge beider Eltern verbleiben oder dem Vater die alleinige elterliche Sorge übertragen werden soll. Der Aufenthalt des Kindes beim Vater ist nicht im Streit und wird auch vom Jugendamt befürwortet.

Dem angefochtenen Beschluss war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, nach der innerhalb eines Monats Beschwerde beim AG eingelegt werden konnte. Er war der bis dahin anwaltlich nicht vertretenen Mutter am 23.4.2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 11.5.2010 bestellten sich die Verfahrensbevollmächtigten und legten mit am 18.5.2010 beim AG eingegangenen Schriftsatz Beschwerde ein.

Die Beschwerde ist - auch im Hinblick auf die mit dem Beschluss verbundene Rechtsmittelbelehrung - zulässig, da der angefochtene Beschluss (End-)Ergebnis eines Verfahrens nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796, 1909 BGB ist (vgl. hierzu OLG Stuttgart, NJW-RR 2010, 222).

Die Beschwerde ist auch begründet, da es vorliegend der Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht bedarf.

Zutreffend ist das AG allerdings davon ausgegangen, dass das Kind Q. in einem Verfahren, das die elterliche Sorge zum Gegenstand hat, Verfahrensbeteiligter i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist (vgl. etwa Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 5. Aufl., § 7 FamFG Rz. 8) und sich nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG nicht selbst vertreten kann. Seine Interessen nehmen in diesem Fall grundsätzlich die Eltern wahr, die auch ersichtlich nicht nach §§ 1629 Abs. 2, 1795 BGB von der Vertretung ausgeschlossen sind. In Betracht kommt damit allenfalls die Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB, wenn zwischen den Interessen des Kindes und denen seiner Eltern ein erheblicher Gegensatz besteht.

In Kindschaftssachen wie der vorliegenden kann im Einzelfall ein solcher erheblicher Interessengegensatz bestehen. Dem wird allerdings im Regelfall durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands nach § 158 FamFG ausreichend Rechnung getragen (auch wenn dieser nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist, § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG), so dass im Ergebnis die Entziehung der Vertretungsmacht und die Bestellung eines Ergänzungspflegers nur in besonderen Ausnahmefällen überhaupt in Betracht kommen. Der Senat schließt sich insoweit der Entscheidung des OLG Stuttgart vom 26.10.2009 (NJW-RR 2010, 222; zustimmend Keuter, Vertretung Minderjähriger in Kindschaftssachen des FamFG, NJW 2010, 1851 und jurisPK - BGB § 1909 BGB Rz. 45.1) an (a.M. und für eine genaue Prüfung des jeweiligen Einzelfalls: OLG Oldenburg FamRZ 2010, 660).

Nach § 1796 BGB kann die Vertretungsmacht nur entzogen werden, wenn zwischen den Betroffenen ein erheblicher Interessengegensatz vorliegt, das eine Interesse also nur ...

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