Entscheidungsstichwort (Thema)

versammlungsrechtliches Vermummungsverbot. Strafrecht. Zur Reichweite des versammlungsrechtlichen Vermummungsverbots

 

Leitsatz (amtlich)

Wer an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilnimmt, die geeignet und darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, verstößt auch dann gegen das Vermummungsverbot des § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG, wenn nicht die Identifizierung durch Behörden, sondern durch Gegendemonstranten verhindert werden soll.

 

Normenkette

VersammlG § 17a Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 09.07.2020; Aktenzeichen 32 Cs 510 Js 21959/19)

LG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 14.07.2021; Aktenzeichen 11 Ns 510 Js 21959/19)

 

Tenor

  1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 14.7.2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 9.7.2020 wegen Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot zu der Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 €. Auf die Berufung des Angeklagten sprach das Landgericht den Angeklagten mit Urteil vom 14.7.2021 frei, weil es zum einen nicht ausschließen zu können meinte, die vermummende Aufmachung sei den Wetterbedingungen geschuldet gewesen, zum anderen dem Urteilsspruch zugrundelegte, dass eine Vermummung, die nicht auf die Verhinderung der Identifizierung durch die Ordnungsbehörden, sondern durch Dritte gerichtet sei, nicht gegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG verstoße. Hiergegen richtet sich die auf form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der Mängel in der Urteilsdarstellung und bei der Beweiswürdigung geltend gemacht, aber auch die Rechtsauffassung des Landgerichts bei der Auslegung von § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG beanstandet wird.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet; sie führt zur umfassenden Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).

Das angefochtene Urteil hält in mehrfacher Hinsicht der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die mit der Revision vorgebrachten Einwendungen erweisen sich als zutreffend.

1. Die Urteilsgründe genügen bereits nicht vollständig den formellen Anforderungen, die von Gesetzes wegen an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.

a) Wird der Angeklagte freigesprochen, bestimmt § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO, dass die Urteilsgründe ergeben müssen, ob der Angeklagte für nicht überführt (Freispruch aus tatsächlichen Gründen) oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist (Freispruch aus rechtlichen Gründen). Dazu bedarf es neben einer Darstellung des Anklagevorwurfs einer Darlegung des festgestellten Sachverhalts mittels einer geschlossenen Darstellung derjenigen Tatsachen zum objektiven und subjektiven Sachverhalt, die das Gericht für erwiesen hält. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st. Rspr., zuletzt BGH, Urteile vom 14.4.2021 - 5 StR 102/20, und vom 26.1.2022 - 6 StR 395/21, jew. juris, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 267 Rn. 33, 33a, jew. m.w.N.).

b) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, weil nur bruchstückhaft im Rahmen der Beweiswürdigung Feststellungen zum objektiven Sachverhalt getroffen werden, so dass dem Senat eine verlässliche Prüfung des ersichtlich bejahten objektiven Tatbestands eines Verstoßes gegen §§ 17a Abs. 2 Nr. 1, 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG nicht möglich ist.

2. Soweit der Freispruch darauf beruht, dass die Kammer wegen der festgestellten Wetterbedingungen - herbstliche Abendkühle mit Temperaturen zwischen 3,7° C und 7,1° C, durchgehender Nieselregen - zugunsten des Angeklagten angenommen hat, er habe gefroren und deshalb seine Kapuze übergezogen und seinen Schal "zum Zweck des Kälteschutzes" bzw. "um nicht zu frieren" (UA S. 4) über die Nase gezogen, beruht dies auf einer nicht tragfähigen Beweiswürdigung.

a) Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§§ 46 OWiG, 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Betroffenen zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist...

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