Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Anlageberaters bei fehlerhaftem Prospekt eines Immobilienfonds - Berücksichtigung von Steuervorteilen des Anlegers aus Abschreibungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Prospekt eines geschlossenen Immobilienfonds muss dem Anleger die fehlende Fungibilität der Anteile erläutern. Dabei ist im Regelfall davon auszugehen, dass für den Anleger eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit, die Anteile zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt zu veräußern, praktisch fehlt.

2. Ein Hinweis im Prospekt, ein "öffentlicher Markt" sei für die Anteile "zur Zeit" nicht vorhanden, ist unzureichend, wenn andere Formulierungen im Prospekt gleichzeitig die Möglichkeit einer Veräußerung suggerieren. Die Formulierung "Der Gesellschaftsanteil ist jederzeit ... veräußerlich" ist als unzutreffender Hinweis auf eine nicht vorhandene wirtschaftliche Chance zu verstehen, wenn nicht deutlich wird, dass die Formulierung - unabhängig von den wirtschaftlichen Aussichten - nur ein Hinweis auf die rechtliche Möglichkeit der Veräußerung sein soll.

3. Weist der Anlageberater im Beratungsgespräch nicht auf für ihn erkennbare Prospektmängel hin, ist er dem Anleger zum Schadensersatz verpflichtet.

4. Steuervorteile, die aus Abschreibungen resultieren, sind bei der Schadensabrechnung zu berücksichtigen, wenn seit der Geltendmachung durch den Anleger 10 Jahre verstrichen sind.

 

Normenkette

BGB §§ 278, 280 Abs. 1; EStG § 23 Abs. 1 Ziff. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Urteil vom 05.08.2011; Aktenzeichen 5 O 368/09 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin und des Drittwiderbeklagten wird das Urteil des LG Konstanz vom 5.8.2011 - 5 O 368/09 B - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 83.540,08 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 53.086,32 EUR seit dem 22.8.2009 und aus weiteren 30.453,76 EUR seit dem 7.4.2011, Zug um Zug gegen Übertragung von Anteilen zu einem Nennbetrag von 250.000 DM an der H. P. GmbH & Co. KG.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung gem. Ziff. 1 in Annahmeverzug befindet.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Auf die Widerklage wird festgestellt, dass dem Drittwiderbeklagten keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Vermittlung einer Kommanditbeteiligung über nominell 250.000 DM an der H. P. GmbH & Co. KG zustehen, mit Ausnahme der an die Klägerin abgetretenen Ansprüche, die dieser in Ziff. 1 des Urteils zugesprochen wurden.

5. Im Übrigen wird die Drittwiderklage abgewiesen.

II. Die weiter gehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Beteiligten wie folgt:

1. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt diese zu 2/5 selbst und zu 3/5 trägt diese Kosten die Beklagte.

2. Die außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten trägt dieser zu 2/5 selbst und zu 3/5 trägt diese Kosten die Beklagte.

3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 1/5, der Drittwiderbeklagte zu 1/5 und die Beklagte zu 3/5.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können eine Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird für die Klägerin und den Drittwiderbeklagten zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus eigenem und aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz wegen einer von dieser vermittelten Kapitalanlage in Anspruch. Zedent der abgetretenen Ansprüche ist der Ehemann der Klägerin. Im Wege der Drittwiderklage begehrt die Beklagte Feststellung, dass dem Ehemann keine Ansprüche im Zusammenhang mit der Vermittlung der Kapitalanlage gegen die Beklagte zustehen.

Die Beklagte ist im Bereich der Anlageberatung tätig. Im Sommer 1996 suchte der Geschäftsführer der Beklagten die Klägerin und deren Ehemann in deren Wohnung auf, um sie zu Fragen einer möglichen Geldanlage zu beraten. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten damals beide regelmäßige Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis. Vermögen besaßen sie lediglich in Form von zwei Lebensversicherungen, die zusammen einen Rückkaufswert von etwa 15.000 DM hatten.

Der Geschäftsführer der Beklagten unterbreitete verschiedene Vorschläge zur Vermögensbildung (vgl. die Anlage K 5, "Erstellung eines Vermögensstatus"). Insbesondere riet der Geschäftsführer dazu, Anteile an dem geschlossenen Immobilienfonds "NLI-Fonds-Nr. 29, H. P. GmbH & Co. KG" zu erwerben. Zu diesem Fonds gab es einen Prospekt, mit welchem Anleger zum Beitritt geworben wurden (vgl. den Prospekt im Anlagenheft OLG). Ob der Prospekt der Klägerin und ihrem Ehemann im Zusammenhang mit der Beratung vom Geschäftsführer der Beklagten übergeben wurde, ist s...

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