Entscheidungsstichwort (Thema)

Betreten der Autobahn; Haftungseinheit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Fahrbahn von Autobahnen darf daher im Hinblick auf die damit verbundenen erheblichen Gefahren nur ganz ausnahmsweise, insbesondere in Notfällen zur Hilfeleistung (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 StVO, § 323c StGB), betreten werden. Ein Aussteigen zur Besichtigung eines geringfügigen (Blech-)Schadens rechtfertigt aber in der Regel keine Ausnahme vom Betretungsverbot. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsanteile unter mehreren Unfallbeteiligten (§ 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB) bilden diejenigen für die Feststellung der auf sie entfallenden Quote eine Einheit, deren Verhalten sich im Wesentlichen in ein und demselben zum Unfall führenden Ursachenbeitrag ausgewirkt hat, bevor der von einem oder mehreren anderen Beteiligten zu vertretende Kausalverlauf hinzugetreten ist.

 

Verfahrensgang

LG B (Urteil vom 26.06.2012; Aktenzeichen 3 O 148/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG B. vom 26.6.2012 - Aktenzeichen 3 O 148/10 - wie folgt abgeändert:

Die Klage ist hinsichtlich des vom Kläger aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15.10.2007 mit den Anträgen Ziff. 1 und 2 der Klageschrift vom 10.3.2010 beziffert verfolgten materiellen Schadens dem Grunde nach zu 80 % gerechtfertigt, soweit die Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf einen Sozialversicherungsträger oder anderen Dritten übergegangen sind. Die Festsetzung des Beginns und des Endes der vom Kläger beanspruchten Mehrbedarfsrente bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger über den vorgerichtlich bereits erbrachten Betrag von EUR 120.000 hinaus ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. EUR 130.000 nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von EUR 39.276,80 seit dem 18.6.2010 sowie aus weiteren EUR 90.723,20 seit dem 19.6.2010 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger bis zu dessen Lebensende eine Schmerzensgeldrente i.H.v. EUR 250 ab dem 1.11.2007 monatlich im Voraus zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle aus dem Unfall vom 15.10.2007 künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 20 % zu ersetzen, soweit ein Forderungsübergang auf Drittleistungsträger nicht stattgefunden hat.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 41 %, die Beklagten samtverbindlich zu 59 % zu tragen. Die Entscheidung über die erstinstanzlichen Kosten bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten.

Dieses und - soweit die Berufung zurückgewiesen wurde - das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von den Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalles.

Am 15.10.2007 unternahmen der Kläger und sein Freund Ö. eine Probefahrt mit einem Pkw der Marke Audi, Typ A6, den der Freund des Klägers an diesem Tag von einem Autohaus in S. erhalten hatte, wo sich dessen eigenes Fahrzeug zur Inspektion befand. Der Kläger betrieb damals das T. in B., sein Freund Ö. arbeitete dort als Kellner für ihn. Sie beabsichtigten mit dem Leihwagen Einkäufe für das Restaurant in K. und gegebenenfalls auch in M. zu tätigen. Der Freund des Klägers führte das Fahrzeug, während dieser selbst auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Als gegen 16.00 Uhr der Freund des Klägers das von ihm geführte Fahrzeug auf der BAB A 5 auf Höhe der Raststätte B. hinter einem verkehrsbedingten Stau verlangsamen musste, fuhr der nachfolgende Pkw Marke Nissan, Typ Sunny, leicht auf. Beide Fahrzeuge kamen auf dem mittleren Fahrstreifen zum Stillstand. Der Kläger nahm telefonisch Kontakt zur Polizei auf und stieg - weiterhin telefonierend - aus. Auch der Fahrer und Beifahrer des aufgefahrenen Wagens verließen ihr Fahrzeug. Beide Fahrzeuge waren technisch noch fahrbereit. Die Sicht war gut.

Der Kläger befand sich im Bereich zwischen den beiden Wagen, als der Sohn des Beklagten zu 1 mit dem von diesem gehaltenen und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw Marke VW, Typ Passat, mit einer Geschwindigkeit von 145 bis 160 km/h auf das hintere Fahrzeug, den Pkw Nissan, auffuhr. Der Kläger wurde zwischen dem Pkw Nissan und dem davor befindlichen Leihfahrzeug eingequetscht und anschließend über eine Entfernung von 17 Metern weggeschleudert.

Der Kläger erlitt infolge des Unfalls ein Polytrauma mit zahlreichen schwerwiegenden Verletzungen, (...).

Aufgrund der erlittenen Verletzungen schwebte der Kläger mehre...

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