Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Paket vor der Luftbeförderung zunächst im Straßengüterverkehr zum Flughafen transportiert, liegt nur dann ein Zubringerdienst i.S.v. Art. 18 Abs. 3 Satz 2 WA 1955 vor, wenn es sich - vom Ort der Übernahme aus betrachtet - um den nächstgelegenen Flughafen handelt.

2. Der Begriff der "Leute" im Sinne des Warschauer Abkommens ist weit zu verstehen. Die qualifizierte Haftung des Luftfrachtführers gem. Art. 25 WA 1955 greift auch dann ein, wenn ein Subunternehmer, ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes oder ein Mitarbeiter der staatlichen Zollbehörde ein Paket aus dem Zolllager des Luftfrachtführers entwendet.

3. Ergibt sich aus den durchgeführten Schnittstellenkontrollen, dass ein Paket im Umschlagslager abhanden gekommen ist, so rechtfertigt dies einen Schluss auf einen Diebstahl oder eine Unterschlagung durch einen der "Leute" des Luftfrachtführers, wenn keine andere Verlustursache in Betracht kommt.

4. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast hat der Luftfrachtführer bei einem Sendungsverlust detailliert vorzutragen, welche Nachforschungen und Ermittlungen nach dem Verbleib der Sendung mit welchen Ergebnissen von ihm durchgeführt wurden.

5. Löst der Geschädigte bei einem Schaden von 13.296 DM einen vom Luftfrachtführer übersandten Scheck über 160 DM ein, ist die Annahme eines konkludenten Abfindungsvergleichs fern liegend. Eine "Erlassfalle" - die nicht zur Abgeltung der Ansprüche des Geschädigten führt - ist nahe liegend.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 15.01.2004; Aktenzeichen 15 O 67/02 KfH IV)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 02.04.2009; Aktenzeichen I ZR 60/06)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 15.1.2004 - 15 O 67/02 KfH IV - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.959,19 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.9.2001 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung der Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. ...

II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat im Wesentlichen Erfolg. Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch aus übergegangenem Recht i.H.v. 6.959,19 EUR gegen die Beklagte zu. Die Forderung setzt sich zusammen aus einem Betrag von 242,86 EUR für den Transport vom 10.1.2001 (Fall 1, vgl. den Luftfrachtbrief Anlagen LG AS. 89) und einem weiteren Betrag von 6.716,33 EUR für den Transport vom 18.1.2001 (Fall 2, vgl. den Luftfrachtbrief Anlagen LG AS. 3).

1. Für den Verlust der Sendung im Fall 1 ist die Beklagte der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet i.H.v. 242,86 EUR.

a) Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Der Schadensersatzanspruch der VN ist nach der Ersatzleistung der Klägerin gem. § 67 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen. Die Klägerin ist Transportversicherer der VN. Sie hat im Fall 1 eine Ersatzleistung i.H.v. 475 DM = 242,86 EUR an die VN gezahlt. Die Zahlung hat den gesetzlichen Forderungsübergang bewirkt. Die tatsächlichen Voraussetzungen der Aktivlegitimation der Klägerin sind im Berufungsverfahren unstreitig.

b) Die (auf die Klägerin übergegangenen) Schadensersatzansprüche der VN gegen die Beklagte richten sich nach deutschem Recht. Die VN hat als Absenderin mit der Beklagten einen Vertrag abgeschlossen über einen internationalen Transport (von Deutschland nach Großbritannien). Auf den Transportvertrag ist gem. Art. 27 EGBGB deutsches Recht anzuwenden, da die Beteiligten eine entsprechende konkludente Rechtswahl getroffen haben.

Indizien für die Rechtswahl sind die Umstände des Vertragsschlusses (vgl. zur konkludenten Rechtswahl Palandt/Heldrich, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Art. 27 EGBGB Rz. 6). Die Absenderin und die maßgebliche Niederlassung der Beklagten haben ihren Sitz in Deutschland. Der Absendeort des Transports lag ebenfalls in Deutschland. Der Vertrag wurde im Inland in deutscher Sprache abgeschlossen (vgl. den Luftfrachtbrief Anlagen LG AS. 89).

Ein Indiz für die Rechtswahl ist außerdem das nachträgliche Verhalten der Parteien im Prozess (vgl. hierzu Palandt/Heldrich, a.a.O., Art. 27 EGBGB Rz. 7). Beide Parteien gehen in ihren Schriftsätzen von der Anwendung des deutschen materiellen Rechts auf den Transportvertrag aus. Die Beklagte meint, ihre "Servicebedingungen Deutschland/Österreich" (vgl. Anlagen LG B 2) seien Vertragsbestandteil geworden. In diesen "Servicebedingungen" findet sich in Ziff. 23 ein Hinweis auf die Anwendung deutschen Rechts. Es kann dahinstehen, ob diese "Servicebedingungen" tatsächlich wirksam in den Transportvertrag einbezogen wurden. Jedenfalls zeigt der Hinweis der Beklagten auf diese Bedingungen, dass ...

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