Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage der Rechtzeitigkeit der Erhebung einer Verzögerungsrüge betrifft die Begründetheit einer Entschädigungsklage nach § 198 GVG.

2. Maßgeblich für die Beurteilung einer Verzögerung ist die konkrete Möglichkeit der Verzögerung aus der ex-ante Perspektive eines vernünftigen Dritten in der Person des Klägers, sobald dieser erstmals objektive Anhaltspunkte hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nehmen wird und sich der Verfahrensabschluss deshalb verzögert.

3. Eine verfrühte Rüge wird durch die nachträgliche konkrete Möglichkeit einer Verzögerung nicht wirksam, da sie damit die Warnfunktion nicht mehr erfüllen kann.

4. Für eine Verzögerungsrüge reicht nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG aus, wenn sich dem Schriftsatz des Klägers durch Auslegung, entnehmen lässt, dass dieser die Dauer des Verfahrens beanstandet oder in sonstiger Weise zum Ausdruck bringt, mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden zu sein.

5. Im Entschädigungsprozess findet keine Überprüfung der der Entscheidungsfindung zugrundeliegenden rechtlichen Überlegungen statt; es kommt nicht auf die Erfolgsaussichten bzw. das Ergebnis der vorangegangenen Klage oder des Rechtsbehelfs an.

6. Sofern es nach den Gesamtumständen angezeigt ist und eine vollständige Klageabweisung unbillig erscheint, kann das Gericht nach § 198 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 GVG die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer treffen; insbesondere, wenn es sich nicht nur um eine unangemessene Verfahrensverzögerung für einen kurzen Zeitraum handelt.

7. Ein Entschädigungsprozess wegen überlanger Verfahrensdauer kann auch über ein Mahnverfahren gem. § 692 ZPO eingeleitet werden. Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids wahrt die Frist aus § 198 Abs. 5 S. 2 GVG.

 

Tenor

1. Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des Verfahrens vor dem Amtsgericht Bruchsal, 6 C 104/14, wird abgewiesen.

2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor dem Amtsgericht Bruchsal, 6 C 104/14, unangemessen verzögert ist.

3. Die Kosten des Verfahrens werden mit Ausnahme der durch die Verweisung entstandenen Kosten, die der Kläger trägt, gegeneinander aufgehoben.

4. Der Streitwert wird auf 500,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Verfahrens vor dem Amtsgericht Bruchsal mit dem Aktenzeichen 6 C 104/14 (im Folgenden: Ausgangsverfahren). Gegenstand des Verfahrens war ein Unterlassungsanspruch des Klägers, den dieser gegen seine Schwester und klagerweiternd gegen deren Ehemann geltend gemacht hat.

Die Klagschrift ist am 11.04.2014 beim Amtsgericht eingegangen. Das Verfahren wurde durch Anerkenntnisurteil vom 13.11.2019 abgeschlossen.

Der Verfahrensverlauf des Ausgangsverfahrens stellt sich wie folgt dar:

Im Dezember 2013 hat der Kläger hat der Kläger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen seine Schwester beim Amtsgericht gestellt. Diese sollte die Behauptung unterlassen, die Motivationslage des Klägers sei durch eine psychische Erkrankung geprägt. Das Verfahren wurde beim Amtsgericht unter dem Az.: 6 C 445/13 geführt.

Mit am 11.04.2014 beim Amtsgericht im Ausgangsverfahren eingegangenem Fax hat er unter Angabe des Az.: 6 C 445/13 "Klage zur Hauptsache" erhoben. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Akten 6 C 445/13 beim Landgericht zum Az.: 20 T 8/14.

Mit Verfügung vom selben Tag, ausgefertigt am 14.04.2014, hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass die Klagschrift nicht den Anforderungen des § 253 ZPO genüge.

Mit am 25.04.2014 beim Amtsgericht eingegangenem Fax hat der Kläger Stellung genommen.

Das Amtsgericht hat mit Verfügung vom 28.04.2014, ausgefertigt am selben Tag, die Akten 6 C 445/13 vom Landgericht zurückgefordert.

Mit Verfügung vom 30.04.2014 wurde im Ausgangsverfahren der Neueintrag als Unterlassungsklage verfügt.

Mit Beschluss vom 07.05.2014 hat das Amtsgericht den Streitwert vorläufig auf 3.000 EUR festgesetzt und mit Verfügung vom selben Tag Gerichtskostenvorschuss vom Kläger angefordert.

Der Vorschuss wurde am 22.05.2014 bei der LOK gebucht.

Mit Verfügung vom 26.05.2014 hat das Amtsgericht Termin auf 24.07.2014 bestimmt.

Innerhalb der der Schwester gleichzeitig gesetzten Klagerwiderungsfrist hat diese mit am 06.06.2014 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben erwidert.

Mit am 10.07.2014 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger Terminverlegung auf September beantragt.

Mit Beschluss vom 14.07.2014 hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen.

Mit am 23.07.2014 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger seine Anträge erweitert.

Am 24.07.2014 hat das Amtsgericht mündlich verhandelt.

Im Termin hat der Kläger die Abteilungsrichterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Die dienstliche Stellungnahme der Abteilungsrichterin wurde dem Kläger mit am 30.07.2014 ausgefertigter Verfügung des Amtsgerichts zur Stellungnahme binnen zwei Wochen übersandt.

Mit am 08.08.2014 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben hat der Kläger um Überlassung einer Ablich...

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