Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertung eines Gutachtens aus Vorprozess

 

Leitsatz (amtlich)

Keine Aussetzung nach §§ 239, 246 ZPO nach einwendungsloser mündlicher Verhandlung - Verwertung eines Gutachtens aus einem Vorprozess, das den Parteien bekannt ist.

1. Eine Aussetzung des Verfahrens nach §§ 239, 246 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn die Partei nach Kenntnis des Todes der Gegenpartei mündlich verhandelt hat und unter Berücksichtigung von § 2039 BGB kein schützenswertes Interesse vorliegt.

2. Vor einer Gutachtenverwertung nach § 411a ZPO bedarf es keiner vorherigen Übersendung des Gutachtens an die Parteien, wenn das Gutachten bereits bekannt ist und ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.

 

Normenkette

ZPO §§ 239, 246, 411a

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Urteil vom 03.02.2006; Aktenzeichen 2 O 412/05)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Konstanz vom 3.2.2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziff. 2 durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Kläger, gesetzliche Erbeserben und Erben auf Ableben des K.F.H., nehmen die Beklagte, eine Nichte des Erblassers, auf Feststellung ihrer Erbenposition sowie im Wege der Stufenklage auf Auskunft (mittlerweile erledigt), eidesstattliche Versicherung und Herausgabe des Nachlasses in Anspruch. Die Beklagte verteidigt sich mit der Behauptung, sie sei aufgrund eines privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testaments des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau A.H. vom 18.2.2003 Alleinerbin des K.F.H. geworden.

Das LG hat der Feststellungs- und der Auskunftsklage durch Teilurteil stattgegeben. Der Entscheidung liegt unter anderem ein Gutachten des Schriftsachverständigen Dr. Baier aus dem vorangegangenen Erbscheinsverfahren vor dem Notariat Villingen zugrunde, welches das LG, ergänzt durch mündliche Anhörung des Sachverständigen, gem. § 411a ZPO verwertet hat. Insbesondere aufgrund dieses Gutachtens stehe fest, dass das Testament vom 18.2.2003 gefälscht sei. Alters- und krankheitsbedingte Veränderungen im Schriftbild, wie sie die Beklagte behauptet, weise das streitige Dokument nicht auf. Das einheitliche Formbild, der monotone Schreibdruck sowie das Bild bei Unterbrechungen im Schreibfluss ließen sich mit der Unterstellung einer krankheitsbedingten Störung der Feinmotorik nicht vereinbaren. Vielmehr seien diese Merkmale typische Anzeichen einer Nachahmungsfälschung.

Für die Einzelheiten der erstinstanzlichen Feststellungen, der Entscheidungsgründe sowie des Parteivorbringens erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte in erster Linie das Ziel einer Neubegutachtung. In diesem Zusammenhang rügt sie, die Kammer habe das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. in verfahrens- und ermessensfehlerhafter Weise verwertet. Das Gutachten weise so gravierende Mängel auf, dass gem. § 412 ZPO ein weiteres Gutachten eingeholt werden müsse. Zudem habe es das LG versäumt, verschiedene Zeugen zu hören, die Auskunft über die - für das Schriftgutachten wesentlichen - Entstehungsbedingungen des strittigen Testaments geben könnten.

Die Beklagte beantragt,

1. das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Konstanz zurückzuverweisen,

2. hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 1.3.2007 haben beide Parteien den Streit über die Auskunftsklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte beantragt, das Verfahren wegen des Todes des Klägers Ziff. 1 am 25.1.2007 auszusetzen.

II. 1. Der Tod des Klägers Ziff. 1 hat das Verfahren nicht unterbrochen, §§ 239 Abs. 1, 246 ZPO, Dem Aussetzungsantrag der Beklagten, § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO, war nicht stattzugeben. Der Antrag ist unzulässig, weil die Beklagte durch schlüssiges Prozessverhalten auf ihr Antragsrecht verzichtet hat (vgl. Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage, Rz. 5 zu § 246; Musielak, ZPO, 5. Aufl., Rz. 4 zu § 246; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., Rz. 4 zu § 246). Die Beklagte selbst hat den Senat durch Schriftsatz vom 1.2.2007 vom Tode des Klägers Ziff. 1, ihres Vaters, in Kenntnis gesetzt, ohne die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen. Sodann hat sie im Verhandlungstermin vom 1.3.2007 im Bewusstsein ihres Antragsrechts und ihrer möglichen Erbenstellung mündlich verhandelt...

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